Berufliche Bildung in der WfbM – Rückbesinnung auf das Wesentliche
Bericht über einen immer noch aktuellen 53° NORD-Fachtag
Bild von zwei schreibenden Händen / pixabay lizenzfrei
Zwingt der künftige Wettbewerb mit neuen Reha-Anbietern die Werkstätten, ihre Konzepte zur beruflichen Bildung zu überdenken? Was bieten die Mitbewerber? Was erwarten die Kunden? Was erleichtert Übergänge in andere Beschäftigungsverhältnisse? Das waren die Themen einer Fachtagung von 53° NORD im Jahr 2016, in der sich alle Teilnehmenden mit den verschiedenen Philosophien und Herangehensweisen in der Beruflichen Bildung beschäftigten und es zu neuen Erkenntnissen kam.
Die zentrale Prämisse lautet: Berufliche Bildung ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, das dem BBB-Teilnehmer ein zufriedenstellendes Arbeitsleben ermöglichen soll. Das bedeutet zweierlei:
a) Der BBB muss den Teilnehmer dabei unterstützen, die passende Tätigkeit zu finden.
b) Er muss ihm ermöglichen, diese Tätigkeit so gut, selbstständig und verantwortlich wie möglich auszuführen.
Diese beiden Aufgaben lassen sich als Prozessphasen begreifen. Phase eins ist ein Öffnungsprozess in unterschiedliche Berufsfelder, um Erfahrungen mit deren Anforderungen und Bedingungen zu sammeln. Phase zwei ist das Gegenteil: Eine Verengung und Konzentration auf das gewünschte Arbeitsfeld. Werkstätten widmen der Phase 1, der Orientierungsphase, bisher wenig Aufmerksamkeit.
Das wurde deutlich im Eröffnungsvortrag der Tagung. Der zuständige Referent der BAG WfbM stellte das Bildungskonzept der harmonisierten Bildungsrahmenpläne vor, die aus anerkannten Bildungsgängen abgeleitet sind und bundesweit „harmonisiert“, also vereinheitlicht werden sollen. Die Absicht ist, die berufliche Bildung in den Werkstätten transparent und nachprüfbar zu machen. Die Qualifizierung soll zu Teilabschlüssen führen, die von den Kammern anerkannt und zertifiziert sind und somit auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besser anerkannt sind.
Die zentralen Kritikpunkte an dem Konzept der Bildungsrahmenpläne wurden in der anschließenden Diskussion schnell thematisiert: Der mangelnde Stellenwert beruflicher Orientierung in diesem Konzept wurde ebenso bemängelt wie die Unklarheit, ob jemand in dem Ausbildungsberuf später tatsächlich arbeiten wird. Weitere Kritik entzündete sich am hohen Aufwand, an der mangelnden Kompatibilität mit realen Tätigkeiten ("Es gibt keinen Regelausbildung Verpackung/Montage" - "Nischenarbeitsplätze in Betrieben sind immer individuell zusammengestellt") und an der zu geringen Individualisierbarkeit auf den tatsächlichen Unterstützungsbedarf einer Person.
Das Resümee dieser Diskussion lautete: Die generelle Ausrichtung des BBB auf harmonisierte Bildungsrahmenpläne passe nicht zum vielfältigen Bedarf in der Werkstatt. Das Votum: Bildungspläne und abgeleitete Lerneinheiten lediglich als Hilfen zur Verfügung stellen, Teilabschlüsse und Zertifikate für den Bedarfsfall ermöglichen, sie aber nicht zur verbindlichen Systematik im BBB der Werkstatt machen.
Ein Beispiel für didaktisch-methodische Hilfen im BBB war die Vorstellung des Konzepts der "Pädagogischen Systeme" nach Prof. Grampp. Es ermöglicht, Lerneinheiten zu erstellen, und bietet didaktische Hilfen für den Qualifizierungsprozess. Damit eignet es sich prinzipiell zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit.
Allerdings, so lautete die Kritik hier, sind diese Hilfen nicht frei verfügbar, sondern einem geschlossenen Kreis von Werkstätten vorbehalten. Man muss Mitglied in einem Verein werden, das pädagogische Personal muss mit hohem Aufwand geschult werden. Die Bedenken: Aufwand und möglicher Nutzen seien nicht abschätzbar. Mehr noch: Es bestehe die Gefahr, dass berufliche Pädagogik hier zu einem geschlossenen System werde, mit vorgegebenen Inhalten und Zielen, eigenem Wertesystem und eigenen Begrifflichkeiten sowie einem Kürzelsystem, das die Abgeschottetheit noch verstärke.
Auch zwei "Andere Leistungsanbieter" waren eingeladen, die sich die betriebliche Integration auf ihre Fahnen geschrieben haben. Der Verein atempo aus Graz und die Hamburger Arbeitsassistenz stellten ihre Version beruflicher Bildung vor. Bei beiden spielt die berufliche Orientierung eine zentrale Rolle. In einem spiralförmigen Suchprozess erproben die Teilnehmer immer neue Arbeitsfelder, bis die passende Tätigkeit gefunden ist und die endgültige Spezialisierung einsetzen kann. Für diesen Prozess haben sie jeweils eigene Instrumente und Methoden entwickelt. Sie nutzen Materialien wie KuKuK, bEO und Talente sowie die Persönliche Zukunftsplanung, und sie setzen auf das persönliche Netzwerk der Teilnehmer, das den Orientierungsprozess als Unterstützerkreis begleitet.
Für Dieter Debus, Werkstattleiter im Frankfurter Verein, spielt der Zugang zum Arbeitsmarkt eine untergeordnete Rolle. Bei ihm ist die Werkstatt Teil der Arbeitswelt. Er sprach sich gegen einen überhöhten Bildungsbegriff aus und verlangte eine personenorientierte und aufgabenbezogene Unterstützung von Lernprozessen. Sein Credo: Lernen sei immer ein aktiver Prozess. Nur die Person selber könne lernen, niemand könne "Gelernt-Werden". Lernen vollziehe sich dann, wenn jemand vor einer Fragestellung, einem Problem, einer Schwierigkeit stehe.
Alles "Lernen", das nicht der Bewältigung realer Erfordernisse diene, werde nicht verinnerlicht und schnell wieder vergessen. Darum sei ihm auch der Bildungsbegriff suspekt, denn der lege feststehende Bildungsinhalte nahe, denen sich die zu Bildenden unterordnen müssten. Dieter Debus: "Pädagogen können nichts erzwingen. Sie müssen ihre Rolle als die von Unterstützern, von ‚Lernhelfern’ verstehen, die im richtigen Augenblick die geeignete Hilfestellung bieten." Berufliche Bildung ist für ihn mit zwei Jahren nicht abgeschlossen. "Lernerfahrungen durchziehen das ganze Berufsleben, darum ist auch das ganze Berufsleben beruflichen Bildung." Das Konzept des Frankfurter Vereins sei entsprechend individualisiert − beruflich Bildung werde überall dort geboten, wo sie benötigt werde: Hilfestellung im Arbeitsprozess durch aufmerksame und fachkundige Unterstützer, nach Bedarf, in der passenden Form, am richtigen Ort und zum jeweils richtigen Zeitpunkt.
Wie berufliche Bildung auch über den BBB hinaus organisiert werden kann, zeigten auch Michael Schumann und Frank Rogalski von der Lebenshilfe Braunschweig mit Qualifizierungsgängen zum Alltagshelfer, zum Kindergartenhelfer oder Hausmeistergehilfen. Diese stehen nicht nur den BBB-Teilnehmern, sondern auch den Beschäftigten im Arbeitsbereich offen, wenn sie sich entsprechend verändern wollen.
Fazit
Die Gefahr einer Nabelschau der Werkstätten in Sachen Beruflicher Bildung, ein Sich-mit-sich-selbst-Beschäftigen des BBB und eine Überhöhung des Bildungsbegriffs wird möglicherweise durch die künftigen Anforderungen des Marktes gebannt. Wollen Werkstätten ihre Marktanteile nicht verlieren, müssen sie sich dem Wettbewerb stellen und eigene betriebsintegrierte Angebote schaffen.
Das hat Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Beruflichen Bildung: Die Auswahlmöglichkeit an Berufsfeldern steigt, der beruflichen Orientierung kommt eine höhere Bedeutung zu und auch die Qualifizierung selber wird neu strukturiert. Andere Anbieter bieten Unterstützung nach Bedarf und in der Echtsituation, ergänzt um eine begleitende Vermittlung von Schlüsselqualifikationen für den betrieblichen Alltag. Das gilt für den Personenkreis der psychisch Erkrankten ebenso wie für den der Menschen mit Lernschwierigkeiten, wenngleich die erforderliche Anleitung und Hilfestellung sich bei den beiden Gruppen unterscheidet.
Die Zukunft der Werkstätten hängt aber, so ein Resümee, entgegen anderslautender Behauptungen nicht von ihren pädagogischen Konzepten ab, sondern von einem marktgerechten Mix ihrer Angebote. Der BBB muss sich an den Wünschen der Kunden orientieren und werkstattinterne Arbeitsfelder ebenso umfassen wie betriebsintegrierte Tätigkeiten. Er muss Übergänge ermöglichen und eine individuelle Beratung und Karriereplanung bieten.