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Blick in die Zukunft der Werkstätten: Das Ende des Wachstums und die Folgen

Bericht über die Online-Veranstaltung von 53° NORD zu den Elbe-Werkstätten

Bild Blick in die Zukunft der Werkstätten: Das Ende des Wachstums und die Folgen
Rolf Tretow, Geschäftsführer der Elbe-Werkstätten Hamburg

 07. Februar 2023 |  Dieter Basener | Textbeitrag

  Weiterentwicklung der beruflichen Teilhabe, Werkstätten, Kostenfreie Artikel, Veranstaltungsrückblick

In der Veranstaltungsreihe "Einblicke in die Praxis" berichtete Anfang Februar der Geschäftsführer der Hamburger Elbe-Werkstätten GmbH, Rolf Tretow, über die Entwicklung seines Betriebes in den vergangenen 15 Jahren. Die dreistündige Online-Veranstaltung trug den Titel "Was bedeutet das Ende des Wachstums für die Werkstätten?" Der Untertitel lautete: "Beispiel Hamburg: Wie die Elbe-Werkstätten mit rückläufigen Belegungszahlen und immer mehr Vermittlungen umgehen". Rund 30 Teilnehmer hatten sich zu der Infoveranstaltung angemeldet.

Wie hoch ist der Rückgang der Auslastung?

Rolf Tretow führte aus, dass die Elbe-Werkstätten seit Jahren einen Rückgang der Beschäftigtenzahlen verzeichnen. Lag die Anzahl der Plätze im Berufsbildungsbereich und Arbeitsbereich im Jahr 2018 noch bei 3.080, betrug sie 2022 noch 2.915. Im Jahr 2027 werden es nach der Prognose nur noch 2.820 Beschäftigte und Teilnehmer sein. Die Gesamtzahl der Werkstattplätze in Hamburg beträgt ca. 4.500 Plätze. Mit alsterarbeit, das zur Stiftung Alsterdorf gehört, gibt es noch einem weiteren Werkstattträger.

Was sind die Gründe für den Rückgang?

Die Gründe für Rückgang lägen, so Tretow, zum einen in der Altersentwicklung. Hier hielten sich inzwischen die Zugänge und Abgänge die Waage. Zum andern hätte die Stadt 2012 das Hamburger Budget für Arbeit eingeführt. Seither wechselten über 400 Werkstattberechtigte in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die Behörde zahle den Werkstätten für die freiwerdenden Stellen einen Ausgleichsbetrag von 8.000 Euro. Die Budgetnehmer hätten die Wahl, sich von der Werkstatt oder vom Integrationsfachdienst begleiten zu lassen. 123 Personen hätten sich für die Begleitung durch die Werkstatt entschieden. Diese Dienstleistung ginge mit ca. 400 Euro monatlich ins das Budget ein.

Wie ist die Wettbewerbssituation in Hamburg?

In Hamburg habe sich ein breites Angebot beruflicher Rehabilitation entwickelt. Neben den Werkstätten und den Tagesförderstätten, die hier traditionell nicht von den Werkstätten betrieben würden, gäbe mit der Hamburger Arbeitsassistenz einen leistungsstarken Vermittlungsdienst, der auch Berufsbildungsplätze anbiete sowie mittlerweile fünf "Andere Leistungsanbieter". Die Zusammenarbeit zwischen den Trägern sei gut, drei der Anderen Leistungsanbieter seien Mitglieder der LAG WfbM.

Wie groß ist das Angebot ausgelagerter Arbeitsplätze?

Neben der sinkenden Platzzahl ist die steigende Zahl der betriebsintegrierten bzw. ausgelagerten Arbeitsplätze kennzeichnend für die Elbe-Werkstätten. Im Arbeitsbereich seien, wie Rolf Tretow berichtete, nur noch 66,4% der Beschäftigten in einer der 11 "klassischen" Betriebsstätten tätig, das sind 1.719 Personen. 12,5% oder 325 Personen arbeiten auf betriebsintegrierten Einzelplätzen, 11,1% oder 288 Personen in einer der 47 ausgelagerten Arbeitsgruppen und 10,0% oder 259 Personen auf ausgelagerten Dienstleistungs-Arbeitsplätzen, etwa in der Garten- und Landschaftspflege oder in der Gastronomie. Bis 2027 solle der Anteil der ausgelagerten Arbeitsplätze auf 40% steigen. Im Berufsbildungsbereich seien 22% der Qualifizierungsplätze betriebsintegriert.

Wieviel tragen die ausgelagerten Arbeitsplätze zum Betriebsergebnis bei?

Zum Betriebsergebnis tragen bei den Elbe-Werkstätten vor allem die ausgelagerten und damit weniger kostenintensiven Arbeitsplätze bei. Nur 8,9 % des Umsatzplus erwirtschaften die internen Arbeitsplätze, 12,4 % die ausgelagerten Dienstleistungen, 36,1 % die Außenarbeitsgruppen und 42,5 % die betriebsintegrierten Einzelplätze. Rolf Tretow bezifferte das Durchschnittsentgelt der Elbe-Werkstätten auf 270 Euro, Beschäftigte auf ausgelagerten Einzelplätzen lägen im Durchschnitt deutlich darüber, der Spitzenverdienst betrage ca. 1.000 Euro.

Was hat es mit dem Trägerbudget auf sich und was hat das für Auswirkungen?

Ein nicht unwesentlicher Grund sowohl für den allmählichen Rückgang der Platzzahlen als auch für den steigenden Anteil ausgelagerter Arbeitsplätze ist nach Rolf Tretow das in Hamburg seit 2006 praktizierte Trägerbudget. Die Werkstätten und andere Träger der Eingliederungshilfe vereinbaren mit der Behörde für jeweils fünf Jahre eine feste Platzzahl mit einer entsprechenden Vergütung. Die vereinbarte Summe gilt sowohl bei Überschreitung und bei Unterschreitung der Auslastung. In diesen Betrag geht zukünftig neben der Auslastungszahl und dem vereinbarten Kostensatz noch ein Korrekturfaktor ein, der unerwartete Kostensteigerungen etwa im Personalbereich berücksichtigt und jährlich angepasst wird. Außerdem vereinbaren Träger und Behörde für den Vertragszeitraum Projekt und Zielgrößen, etwa den Ausbau des digitalen Lernens oder eine neue Planzahl für ausgelagerte Arbeitsplätze. Investitionen, die für diese Ziele erforderlich sind, berücksichtigt die Vergütung ebenfalls. Für die Hamburger habe sich, so Tretow, das Trägerbudget bewährt, es gäbe beiden Seiten Planungssicherheit und befördere Innovation.

Was haben des Ende des Wachstums und Auslagerung der Werkstattplätze in Betriebe für Auswirkungen?

Für die Personalstruktur sind die Folgen laut Tretow kaum spürbar. Entlassungen gäbe es wegen des Platzzahlrückgangs nicht, die natürliche Fluktuation reiche zur Anpassung aus. Im Moment gäbe es wegen des Fachkräftemangels eher Probleme mit der Neubesetzung von Stellen. Die Verlagerung von Teilen des Betriebes nach draußen werde von manchen Kolleginnen und Kollegen als Chance gesehen, beruflich etwas Neues auszuprobieren. Allerdings würden nicht mehr so viele Betriebsflächen benötigt. Hier hätte es Anpassungen gegeben. Angemietet Flächen seien zum Teil gekündigt worden, in großen Betriebsstätten seien Flächen an Handwerks- und Logistikunternehmen untervermietet, was zu Synergien führe.

Was bedeutet die Auslagerung von Arbeitsplätzen für das Werkstattangebot?

Die ausgelagerten Gruppen und Einzelplätze habe, so Tretow, die Angebotsvielfalt ausgeweitet. Die Möglichkeit, die Werkstatt über das Budget für Arbeit zu verlassen, habe zudem vielen Werkstattberechtigten die Entscheidung für einen Werkstattplatz erleichtert. Der Betrieb verhandele mit den Behörden derzeit über die Übernahme von Personen auf ausgelagerten Einzelplätzen in die Festanstellung, etwa bei Kindergärten. Die Anstellung ganzer Außenarbeitsgruppen in einem Unternehmen über das Budget für Arbeit sei ebenfalls in Planung. Zur Vorbereitung und gezielten Qualifizierung von Beschäftigten auf die Anforderungen von Arbeitgebern gebe es bei den Elbe-Werkstätten seit Jahren spezielle Qualifizierungsgänge, zum Teil mit Kammerzertifizierung. Das betreffe beispielsweise den Kindergarten- und Altenpflegebereich, aber auch die Gastronomie, den Einzelhandel oder Lager- und Logistiktätigkeit.

Was können andere Werkstätten von der Entwicklung in Hamburg lernen?

Folgendes Resümee lässt sich aus der Info- Veranstaltung mit Rolf Tretow ziehen:

  • Das Ende des Wachstums ist für die Elbe-Werkstätten keine Katastrophe. Die Auslastungszahlen sinken um knapp ein Prozent im Jahr. Das ist kalkulierbar und verkraftbar.
  • Die Ausweitung der betriebsintegrierten Arbeits- und Qualifizierungs-Angebote zahlt sich für den Betrieb in doppelter Weise aus: Er macht die Werkstatt attraktiv für werkstattskeptische Personen und er trägt in erheblichem Maße zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Laut Rolf Tretow werden die "klassischen Werkstattplätze" aber weiter benötigt, weil es eine Nachfrage nach geschützten Arbeitszusammenhängen gibt.
  • Vermittlungen ins Budget für Arbeit sind für die Elbe-Werkstätten ein normaler Vorgang. Sie öffnen für die Beschäftigten die Tür nach draußen, so dass sie die Werkstatt auch temporär nutzen können. Damit verbessern sie das Werkstattimage und sind bei dem selbstgesetzten Ziel, kein weiteres Wachstum zu generieren, ein notwendiges Ventil.
  • Die Konkurrenz mit anderen Anbietern am Markt der beruflichen Teilhabe sehen die Elbe-Werkstätten entspannt. Für Rolf Tretow entsteht aus Wettbewerb Innovation und Fortschritt. So hat die Gründung der Hamburger Arbeitsassistenz vor 30 Jahren die Ausweitung integrativer Angebote bei allen Anbietern beflügelt. Die Kooperation zwischen den Anbietern ist in Hamburg im Sinne der Leistungsberechtigten eng.
  • Das Trägerbudget spielte bei der Neuausrichtung der Werkstatt eine wichtige Rolle. Es wirkte als Wachstumsbremse und forcierte die Öffnung nach außen. Anfangs sahen die Träger der Eingliederungshilfe dieses Instrument laut Rolf Tretow mit Skepsis, inzwischen sind sie wegen der Innovationsmöglichkeiten und der Planungssicherheit, die das Instrument bietet, überzeugte Anhänger des Budgets. Nebenbei: Auch die Teilnehmer der Info-Veranstaltung konnten sich eine solche Regelung für ihre Werkstatt durchaus vorstellen.
  • Wachstumsbremse und Öffnung der Werkstatt waren, so Rolf Tretow, anfangs in der Belegschaft nicht unumstritten. Es bedurfte eines längeren Change-Prozesses mit Veranstaltungen und viel interner Kommunikation, um die Kolleginnen und Kollegen auf diesem Wege mitzunehmen.
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