Das Hamburger Trägerbudget und seine Auswirkungen auf die Werkstätten
Interview mit Rolf Tretow, Geschäftsführer der Elbe-Werkstätten GmbH
Portraitfoto vom Geschäftsführer der Elbe-Werkstätten Rolf Tretow mir dunklem Anzug und farbiger Krawatte
Der Kennzahlenvergleich der BAG der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGüS) weist für das Jahr 2020 zum ersten Mal in der Geschichte der Werkstätten gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang der Beschäftigtenzahlen auf. Die Elbe-Werkstätten in Hamburg, mit 3.000 Werkstattplätzen die größte WfbM der Republik, kennen diese Situation schon seit Jahren.
Rolf Tretow, Geschäftsführer der Elbe Werkstätten, über den Umgang mit rückläufigen Belegungszahlen
53° Nord: Herr Tretow, das Hamburger Trägerbudget ist einzigartig in der deutschen Trägerlandschaft. Erläutern Sie doch bitte einmal, was es beinhaltet.
Rolf Tretow: Unser Leistungsträger der Eingliederungshilfe, die Hamburger Sozialbehörde, schließt mit den Trägern eine Budgetvereinbarung ab. Darin ist auf der Grundlage einer gemeinsamen Auslastungsprognose für eine bestimmte Laufzeit eine feste Vergütungssumme festlegt. Wir bekommen aktuell für 2.330 Beschäftigte im Arbeitsbereich einen festen monatlichen Festbetrag. Die Vereinbarung läuft mit sinkenden Fallzahlen über vier Jahre. Die Pauschale erspart uns eine Einzelabrechnung für jeden Beschäftigten.
Dieser Betrag wird in dieser Zeit nicht an Auslastungsschwankungen angepasst?
Nein, es bleibt beim vereinbarten Betrag. Bleiben wir unter der Beschäftigtenzahl, machen wir ein Plus, sind wir darüber, zahlen wir drauf. Es gibt noch einen Bonus: Der Vertrag beinhaltet auch eine Vergütung für bestimmte Projekte, die wir in einer Leistungsvereinbarung beschreiben. Im Moment betrifft dies unter anderem die Digitalisierung von Arbeitsplätzen, eine Aufgabe, die wir sonst aus dem Kostensatz zahlen müssten.
Seit wann gibt es das Trägerbudget in Hamburg?
Seit 2005. Da war ich noch nicht im Werkstattbereich tätig.
Der erstaunliche Effekt des Budgets ist ja, dass es in Hamburg kaum noch Zuwächse an Werkstattplätzen gibt. Im Jahr 2000 betrug der Zuwachs noch rund fünf Prozent, bundesweit sind es immer noch zwei Prozent.
Das stimmt, es gehen bei uns in den letzten Jahren mehr Beschäftigte in den Ruhestand oder verlassen uns in Richtung allgemeiner Arbeitsmarkt, als über den Berufsbildungsbereich neu dazu kommen. Die vereinbarte Platzzahl im Arbeitsbereich der Elbe-Werkstätten nahm in der letzten Vertragslaufzeit jährlich um 30 bis 40 Plätze ab.
Und haben Sie es geschafft, diese Zahl real noch zu unterbieten?
Wir haben mit „Arbeit Inklusiv“ ein sehr aktives Vermittlungs- und Unterstützungsteam und konnten in den vergangenen Jahren über das Budget für Arbeit viele Menschen in Festanstellung vermitteln. Außerdem gehen behinderungsbedingt viele Beschäftigte vorzeitig in den Ruhestand, so dass wir tatsächlich unter der vereinbarten Platzzahl lagen.
2018 hatten wir allerdings eine erhöhte Nachfrage nach BBB-Plätzen. Leistungsberechtigte müssen und wollen wir aufnehmen, wir haben ja, wie alle anderen Werkstätten auch, eine Aufnahmeverpflichtung. Und in der Corona-Krise ist die Vermittlung über das Budget für Arbeit fast vollständig zum Erliegen gekommen. Beide Effekte zusammen führten dazu, dass wir zurzeit mit Überlast fahren.
Gibt es für solche Fälle einen Notmechanismus?
Bei starken Abweichungen von den Planzahlen gibt es tatsächlich ein Sonderkündigungsrecht. Aber die Abweichung ist noch nicht so gravierend, dass wir das in Anspruch nehmen wollen, zumal in diesem Jahr die Nachfrage nach BBB-Plätzen als Folge der Pandemie geringer ist. Kurzfristig ist das ein zusätzliches Problem, weil die Einnahmen aus dem Berufsbildungsbereich fehlen. Mittelfristig dürfte sich aber die Auslastung wieder auf die vereinbarte Platzzahl einpendeln.
Bei den Vermittlungen bedienen Sie sich des Budgets für Arbeit. In Hamburg scheint das Instrument, anders als in anderen Bundesländern, ein Erfolg zu sein.
Ja, die Budgetzahlen liegen in Hamburg deutlich höher als in anderen Bundesländern. Mit dem Budget für Arbeit können wir ein Fließgleichgewicht zwischen Zugängen und Abgängen herstellen. Im Prinzip ist es ein sehr passgenaues Instrument: Die Arbeitgeber erhalten Lohnkostenzuschüsse, die die Minderleistung ausgleichen und wir stellen die Begleitung und Unterstützung am Arbeitsplatz. Mittlerweile sind es aber nicht mehr nur die Leistungsträger, die vermittelt werden, sondern auch Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf, so dass die Begleitpauschale, die wir für die Unterstützung erhalten, oft nicht mehr reicht. Da müssen wir möglicherweise mit dem Leistungsträger nachverhandeln.
Sind die Arbeitgeber in Hamburg denn bereit, Werkstattbeschäftigten einzustellen?
Unsere Integrationsbegleiter gelten bei den Unternehmen als verlässliche Partner und das zahlt sich aus. Wir vermitteln ja nicht nur in Festanstellungen, sondern in noch größerem Umfang in ausgelagerte BBB- und Werkstattarbeitsplätze. 25 Prozent unserer beruflichen Bildung findet in Betrieben statt. Im Arbeitsbereich sind es mit den betriebsintegrierten Arbeitsgruppen sogar 34 Prozent.
Ohne Wachstum und mit der zunehmenden Verlagerung von Werkstattplätzen in Betriebe müssen Sie dann doch Überkapazitäten in den Gebäudeflächen haben.
Das ist so. Wir haben mittlerweile freie Flächen von 14.000 qm, die wir mit unserer eigenen Produktion nicht mehr auslasten. Insbesondere betrifft das unseren größten Standort, die ehemalige Hamburger Werkstatt am Meiendorfer Mühlenweg in Farmsen, die für 700 Werkstattplätze ausgelegt war und unseren Standort an der Cuxhavener Straße in Hausbruch.
Was machen Sie damit?
Wir vermieten sie an Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten. Das bringt uns Aufträge, erleichtert die Auftragsabwicklung, unsere Beschäftigten können leichter in deren Produktion mitwirken und es gibt einen integrativen Effekt, weil die Mitarbeiter der Firmen mit uns die Sozialräume und Kantinen teilen. Wir nehmen aber auch Tagesförderstätten in unsere Räume auf, die in Hamburg ja von anderen Trägern geführt werden. Damit wird das System in beide Richtungen durchlässiger.
Stichwort Tafös: Werden mit der Beschränkung der Platzzahl nicht Leistungsschwächere in die Tagesförderstätten abgedrängt?
Abdrängen trifft es nicht. Die Belegungsentwicklung wird dadurch realistischer. Früher wurden nicht werkstattfähige Beschäftigte häufiger in der Werkstatt gehalten. Heute ist der finanzielle Anreiz entfallen.
Im letzten Kennzahlenvergleich der überörtlichen Sozialhilfeträger steht, dass die Kostensätze der Werkstätten in Hamburg zwischen 2010 und 2018 rückläufig waren. Sie seien um rund 450 Euro gesunken, während die Vergütungen in allen anderen Bundesländern gestiegen sind. Ist das auch eine Auswirkung des Trägerbudgets?
Steht das dort? Ich weiß nicht, wie die das berechnen, aber wir haben, bis auf einen Vertragszeitraum, immer Steigerungen vereinbart. Richtig ist, dass diese Steigerungen unterhalb der Inflationsrate und der Tariferhöhungen lagen, das Wachstum war also unterproportional. Das hatte zu tun mit Reduzierungen im Overhead und vor allem mit den Einsparungen an Gebäudekosten wegen der gestiegenen Zahl ausgelagerter Plätze. Hamburg lag früher im bundesweiten Vergleich bei den Kostensätzen in der Spitzengruppe, jetzt im Mittelfeld.
Wie entwickelt sich in Hamburg die Konkurrenz mit anderen Leistungsanbietern?
Das sehen wir entspannt. Die Hamburger Arbeitsassistenz ist ja schon seit fast 30 Jahren am Markt. Mit ihr haben wir sowohl auf der Leitungs- wie auf der Arbeitsebene eine gute Kooperation entwickelt. Die neuen Leistungsanbieter, den Bergedorfer Impuls und das Rauhes Haus, sehen wir nicht als Konkurrenz, weil sie einen speziellen Bedarf abdecken. Wir planen, unsere LAG für sie zu öffnen.
Abschließend: Wie bewerten Sie als Geschäftsführer der größten WfbM in Deutschland das Trägerbudget?
Ich finde, es hat sich bewährt. Meine Einschätzung deckt sich, glaube ich, auch mit der der anderen Träger aus dem Wohn-, Arbeits- und Tafö-Bereich. Das Trägerbudget gibt uns Planungssicherheit und führt zu einem Bürokratieabbau. Bei Unterschreitung des Kontingents gibt es uns die Möglichkeit zu einer indirekten Preissteigerung. Außerdem können wir in den Verträgen die Finanzierung von Teilhabezielen außerhalb des Kostensatzes unterbringen. Wir führen mit dem Leistungsträger regelmäßige Jour-Fix-Termine durch und damit ist er eng in unsere fachliche Arbeit eingebunden. Zwischen den Behördenvertretern und uns als Leistungserbringer gibt es eine vertrauensvolle inhaltliche Zusammenarbeit.
Gibt es auch Negativseiten?
Zumindest Risiken. Wie sich aktuell zeigt, ist eine finanzielle Nachsteuerung bei einer Überschreitung des Kontingents trotz des vereinbarten Sonderkündigungsrechts schwierig. Und bei unerwartet hohen Tarifsteigerungen oder bei einer Ausweitung der Inflation haben wir keine zeitnahe Kostendeckung.
Würden Sie das Trägerbudget als Modell für Deutschland betrachten?
Durchaus.
Vielen Dank für das Gespräch!
(aus dem NL 53° NORD 2020)