Das Projekt NeuEinstellung in Schwerte
So kann Inklusion ins Arbeitsleben gelingen
Wie viele Neuerungen in der Teilhabelandschaft begann auch diese mit dem Engagement von Eltern. Die Initiative Down-Syndrom Kreis Unna e.V. suchte für ihre Kinder einen Weg, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Nach längeren Vorüberlegungen gründete sie einen weiteren Verein, "NeuEinstellung Inklusive e.V.". Das Ziel: Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Arbeitsagentur für ihre Zwecke nutzbar zu machen und so den Weg in die Festanstellung zu ebnen. Aber die Anforderungen der Agentur für Qualifizierungsgänge, etwa eine AZAV-Zertifizierung, erwiesen sich für die ehrenamtlich tätigen Eltern aber als zu anspruchsvoll. Deshalb gaben sie den Plan nach zwei Jahren ab an die "Bildung+Lernen gGmbH", eine Tochtergesellschaft der AWO Ruhr-Lippe-Ems. Die setzte die Arbeit als Projekt "NeuEinstellung" im Sinne der Initiative fort.
Das Angebot
Heute, 10 Jahre später, ist daraus ein erfolgreicher Qualifizierungs- und Vermittlungsdienst geworden, der Vorbildcharakter für ähnliche Projekte haben könnte. Das Leitungstandem Daniel Tünsmeyer und Melanie Ahlgrimm ist seit 2020 dabei. Sie berichten, welche Maßnahmen sie für die berufliche Orientierung und Qualifizierung ihrer Klienten nutzen: "Die wichtigsten Instrumente sind die Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB) und die Unterstützte Beschäftigung (UB). NeuEinstellung beteiligt sich nicht an Ausschreibungen der Agentur für Arbeit, sondern nutzt das Persönliche Budget zur Finanzierung. Unsere Klienten sind die Antragsteller und wir unterstützen sie dabei. Unser Angebot umfasst auch das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich (EV/BBB) sowie die Begleitete Betriebliche Ausbildung. Einen eher ungewöhnlichen Weg gehen wir mit der "Kooperativen Ausbildung". Unser Träger Bildung+Lernen fungiert als Ausbildungsbetrieb, den praktischen Teil übernehmen Kooperationsbetriebe."
Alle angebotenen Maßnahmen, so berichtet das Leitungstandem, müssen die jeweiligen Fachkonzepte der Agentur für Arbeit erfüllen. "Jeder Teilnehmer hat auf dieser Grundlage sein individuelles Durchführungskonzept, abgestimmt auf seine Bedürfnisse. Es beschreibt die Ziele der Qualifizierung und wie wir sie erarbeiten möchten: Durch das Kennenlernen unterschiedlicher Berufsfelder, das Training spezifischer Fähigkeiten, den Erwerb von Schlüsselkompetenzen et cetera."
Seit April 2024 ist auch noch die Beratungsstelle "Inklusion und Arbeit" an das Projekt angedockt, gefördert durch Aktion Mensch. Sie berät alle Menschen mit Behinderung, die Arbeit suchen, unabhängig vom Projekt NeuEinstellung, über passenden Angebote, stellt Kontakte her oder organisiert selbst die erforderlichen Qualifizierungen und Unterstützungen. Es informiert über mögliche Förderungen, die Arbeitsplatzgestaltung oder Umgestaltung des Arbeitsbereichs und sie unterstützt bei der Antragstellung. Beraten werden alle Personen mit einer Behinderung.
Der Ablauf
Den Einstieg in die Qualifizierungen bilden bei NeuEinstellung die Kennenlern- und Beratungsgesprächen. Der Dienst erfragt die Wünsche der TeilnehmerInnen und findet die passende Maßnahmeform, erstellt ein Durchführungskonzept, holt die Kostenzusage der Agentur ein und bestimmt einen festen Ansprechpartner. Die eigentlichen Maßnahmen beginnen mit vierwöchigen Einführungseinheiten, bei denen auch der Leistungsstand festgestellt wird. Dann starten die ersten Praktika in Betrieben, die "Berufsfelderkundung". Als Praxisfeld nutzt das Projekt dazu die Arbeitsmöglichkeiten seiner Kooperationspartner. Wenn nötig, akquirierte es auch neue Betriebe. In der Regel werden mehrere Berufsfelder erprobt, eng begleitet durch die Arbeitstrainer. Daniel Tünsmeyer: "Die Spanne der Praktika variiert. Manchmal ist gleich der erste Betrieb ein Treffer, es können aber auch zehn und mehr Erprobungen sein." Ist der passende Betrieb gefunden, bereiten die Arbeitstrainer den Klienten mit einem intensiven "Training on the job" auf die Festanstellung vor.
In der Regel verbringen die TeilnehmerInnen vier Tage in der Woche im Betrieb, der Freitag ist ein "Seminartag". Er bietet die Möglichkeit zum Austausch und zur Reflektion der Arbeitswoche mit ihren Problemen und Erfolgen, dazu Übungen zu Schlüsselqualifikationen, Stützunterricht und Rollenspiele zur Bewerbung. Die TeilnehmerInnen der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme haben zusätzlich Anspruch auf einem Tag Berufsschultag in der Woche.
Schwierige Finanzierung, aufwändige Akqise
Das Team besteht aus vier festangestellten Mitarbeitern sowie einer Psychologin auf Honorarbasis. Im Schnitt begleiten sie 15 TeilnehmerInnen. Von 2019 bis 2023 waren es insgesamt 38 Personen in 48 Maßnahmen. Melanie Ahlgrimm: "Die Verweildauer ist unterschiedlich, abhängig von der Maßnahme und vom individuellen Bedarf. Manchmal ist es sinnvoll, noch eine weitere Maßnahmeart anzuschließen, um das Beschäftigungsverhältnis zu stabilisieren." Die Vermittlungsquote in eine Festanstellung kann sich sehen lassen. Zwischen 2029 und 2023 lag sie durchschnittlich bei 76 Prozent.
Das Einzugsgebiet hat inzwischen den Kreis Unna überschritten. Daniel Tünsmeyer: "Wir sind auch in Hamm und Dortmund, im Kreis Warendorf und in angrenzenden Regionen tätig." Die Finanzierung durch das Persönliche Budget sei für KollegInnen der Agentur für Arbeit häufig Neuland. "In unseren Stammgebieten, im Kreis Unna oder in Dortmund, ist das Prozedere eingespielt. Bei Agenturen, die das noch nicht kennen, kann eine Bewilligung schon einmal bis zu einem Jahr dauern. Das Instrument bedeutet für alle Beteiligten einen großen Aufwand."
Auch die Teilnehmer-Akquise gestaltet sich aufwändig. Neben dem üblichen Informationsmaterial und gelegentlichen Zeitungsberichten suchen die MitarbeiterInnen den direkten Kontakt zu potentiellen KlientInnen, vor allem in den Schulen. Melanie Ahlgrimm: "Wir informieren das Kollegium und stellen uns auf Elternabenden vor. Unser Angebot ist nicht fest in die Regelabläufe integriert. Wir müssen mit unserer Überzeugungsarbeit in jeder Abschlussklasse neu beginnen und die Schüler und Eltern für unser Angebot gewinnen, bevor zum Schulabschluss die Entscheidung fällt. Es ist ja eine Grundsatzentscheidung, die die Weichen für das ganze Leben stellt."
Fazit
Das Engagement der Elterninitiative hat sich gelohnt. Mit dem Übergang in professionelle Strukturen hat das Projekt "NeuEinstellung" das nötige Know-how entwickelt, um erfolgreich zu sein. Der Dienst zeigt eindrucksvoll, wie Inklusion in den Arbeitsmarkt gelingen kann, und das nicht nur in Schwerte oder Unna, sondern überall in Deutschland. Er legt aber auch die Schwachstelle unseres Systems der beruflichen Teilhabe offen. "NeuEinstellung" arbeitet in einer Nische, ist weitegehend unbekannt und muss sich seine Klienten und seine Finanzierung Jahr für Jahr neu erkämpfen. Damit geht eine Chance für mehr Inklusion verloren, findet das Team aus Schwerte. Was hindert die Gesetzgebung daran, Qualifizierungs- und Vermittlungsdienste wie diesen zur zweiten Säule der beruflichen Eingliederung zu machen, sie gleichberechtigt zu behandeln und finanziell gleich auszustatten? Damit würde die Wahl zwischen unterschiedlichen Zugängen ins Arbeitsleben geöffnet und die Leistungsberechtigten könnten selber entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. 23 Jahre nach dem Inkrafttreten der SGB IX würde ein solcher Schritt die dort festgeschriebenen Prinzipien der Selbstbestimmung und des Wunsch- und Wahlrechts auch in der beruflichen Teilhabe erfüllen.
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