Innovationskongress Hamburg
"Unmögliche Lösungen" mit Chance auf Realisierung
Zeichnung im WorldCafe beim Innovationskongress 2024
"Denk Dir eine ‘unmögliche Lösung’ für eine Herausforderung in Eurer Werkstattarbeit aus, egal ob sie Dir unrealistisch erscheint oder nicht, und teile sie mit deiner Nachbarin oder deinem Nachbarn." Mit dieser Aufforderung eröffnete Leo Baumfeld, der Moderator der zwei Tage, den 2. Hamburger Innovationskongress. Der Titel: "Werkstatt weiterentwickeln, aber wie? Praktikable Wege gemeinsam erarbeiten".
Eine "unmögliche Lösung" finden?
Eine gewagte Eröffnungsfrage für den Kaltstart in einen Kongress mit 100 TeilnehmerInnen. Aber das Experiment ging auf. Zwei Minuten später waren die Sitznachbarn in intensive Gespräche vertieft. Das Thema Innovation war angekommen, die TeilnehmerInnen aktiviert. Und diese Aktivierung sollte bis zum Ende der zwei Tage anhalten. Der zweite Innovationskongress begann so diskussionsfreudig, wie der erste vor zwei Jahren endete, und alle gingen mit vielen Ideen und einem konkreten Vorhaben nach Hause.
Offene Diskussion im Plenum
Die Absicht des innovativen Zusammenkommens
Intensive Diskussionen anzuregen und nachhaltige Projekte zu initiieren, das ist das Ziel der Hamburger Innovationskongresse. Sie sollen die Beteiligten animieren, zu den wesentlichen Themen der Werkstattarbeit neue Strategien zu entwickeln, Partnerschaften zu bilden, konkrete Vorhaben zu starten und Entwicklungen loszutreten. Dieser Kongress ist ein Arbeitstreffen, bei dem die TeilnehmerInnen selbst in der Hand haben, was daraus entsteht. Das Thema für die diesjährige Veranstaltung lag auf der Hand. Die letzten Monate waren bestimmt von Auseinandersetzungen um die Weiterentwicklung der WfbM, Vorschlägen der Entgeltkommission und Plänen des BMAS. Die Devise des Kongresses: Nicht darauf warten, was die Politik vorgibt, sondern die Weiterentwicklung in die Hand nehmen, eigene Ideen schmieden und gemeinsam an ihrer Umsetzung arbeiten.
Zum Einstieg: Gelungene Lösungen
Zum Einstieg in die Diskussion hatten die Veranstalter sieben aktuelle Entwicklungsthemen aufgegriffen. Sie hatten Werkstätten gefunden, die schon Lösungen zu eben diesen Themen erarbeitet haben und sie in kurzen Präsentationen vorstellten. Diese so genannten "geknackten Nüsse" wurden in parallel laufenden Gruppen präsentiert und einmal wiederholt, so dass alle Teilnehmer mit zwei Impulsen in die Tagung starten konnten. Die Themen lauteten: Aufbau eines betriebsintegrierten Berufsbildungsbereichs, professionelles Inklusionsmanagement, Auf- und Ausbau von Inklusionsbetrieben unter dem Werkstattdach, Ansiedlung von externen Betrieben auf Werkstattflächen mit der Auflage, Werkstattmitarbeiter zu beschäftigen, stärkere Integration von Menschen "ohne Behinderung" in die Fertigung, Etablierung von Dienstleistungsangeboten in der Gemeinde und in Betrieben sowie die Realisierung von mehr Integrations- und Arbeitsangeboten für TAFÖ- bzw. FuB-Beschäftigte.
Soziale Allianz der Stiftung Mensch
Besonderes Interesse für die "Soziale Allianz" aus Meldorf
Besondere Aufmerksamkeit unter den sieben Vorträgen erregte ein Kooperationskonzept der Stiftung Mensch, einem Werkstattträger aus Meldorf im schleswig-holsteinischen Dithmarschen. Der Träger animiert unter dem Titel "Soziale Allianz" regionale Unternehmen zu einer festen Partnerschaft mit der Werkstatt. Mittlerweile sind dieser Kooperation 30 Firmen beigetreten. Es ergeben sich Fertigungsaufträge für die WfbM, aber auch betriebsintegrierte Plätze für die berufliche Bildung, Praktika und dauerhafte Arbeitsplätze in den Unternehmen. Es entstehen Produktideen samt gemeinsamer Entwicklung und Vermarktung. Ein Highlight ist das gemeinsam organisierte und jährlich stattfindende Summer Open-Air mit 3.000 Zuschauern. Dieser Impulsvortrag regte dazu an, Kooperationen neu zu denken und sich gut in der Region zu vernetzen. Die Öffnung der Werkstatt und die intensive Zusammenarbeit mit Betrieben wurden zu einem Leitthema der gesamten Veranstaltung.
World-Café und die Entwicklung eigener Projekte
Der nächste Schritt in der Veranstaltung: Die TeilnehmerInnen vertieften die Eingangsimpulse sowie von ihnen selbst eingebrachte Themen in Diskussionsrunden nach dem Konzept des Word-Cafés. Die Café-Gastgeber präsentierten die Ergebnisse des Austauschs dem Plenum.
Die Eingangsimpulse und Anregungen aus dem World-Café waren für die TeilnehmerInnen der Einstieg in die Entwicklung eigener strategischer Initiativen, Ideen zur Weiterentwicklung und konkreten Projekte für ihren Werkstattalltag. Manche planten nur für ihre Werkstatt, andere taten sich mit anderen WfbM zu Entwicklungsteams zusammen. Zum Ende des ersten Veranstaltungstages stellten alle ihre Ideen vor, mit einem Titel versehen und in kurzen Stichworten beschrieben.
Ergebnisse des World-Cafés - Das Werkstattimage
Anleitung zur Projektreflexion durch den Moderator
Ausarbeiten der Projektideen
Das "Warming-Up" zum zweiten Tag war das Aufgreifen der Eingangsfragestellung nach den "Unmöglichen Lösungen" vom Beginn der Tagung, wieder in intensiven Zweiergesprächen. Weiter ging es mit der Verfeinerung der Projektideen mithilfe von Strukturierungs-Anregungen. Ähnliche Themen konnten sich dabei zusammentun.
In einer nächsten Phase ließen die Gruppensprecher ihre Projekte von den anderen TeilnehmerInnen begutachten. In Kleingruppen präsentierten sie ihr Vorhaben und holten ein Feedback ein. Für diese kritische Überprüfung standen zwei Methoden zur Verfügung, die "Kollegiale Beratung" und die "Wertschätzende Konfrontation". Bei der zweiten Methode nahmen die Feedback-Geber unterschiedliche Rollen ein: Die der "EuphorikerInnen", die das Projekt ausschließlich positiv bewerteten, seine Besonderheiten und Gelingensfaktoren herausstellten, und die "KritikerInnen", die schonungslos die Schwächen und möglichen Gründe für ein Scheitern herausarbeiteten. Die dritte Gruppe waren die "PragmatikerInnen", die eine realistische Sichtweise einnahmen, Stärken und Schwächen abwogen, die Machbarkeit einschätzten und Verbesserungshinweise gaben. Die Rückmeldung der Gruppen lautete, dass die "Wertschätzende Konfrontation" mit ihnen besonders geholfen habe.
Im Anschluss hatten die Projektgruppen noch einmal Zeit, den letzten Feinschliff an ihren Ideen vorzunehmen und die Präsentation vor dem Plenum vorzubereiten. Diese Projektpräsentation vor eine improvisierten Theaterkulisse bildete den gefeierten Höhepunkt der Tagung. Die Darstellung des Vorhabens durch die gesamte Gruppe war verbunden mit einer Selbstverpflichtung, die sich auf erste Schritte, eine zeitliche Struktur oder smarte Ziele beziehen konnte.
Die Ergebnisse
Die erarbeiteten Projekte waren sehr unterschiedlich. Einigen ging es um fest umrissene Aufgaben wie den Aufbau eines Qualifizierungsganges für den Hauswirtschaft- und Service-Abteilung oder eine Teilqualifizierung zum Handwerksgehilfen mit Abschluss. Eine andere Gruppe will ihren Berufsbildungsbereich grundsätzlich überdenken und in eine zeitgemäßere Form transformieren. Benachbarte Werkstätten planten ein gemeinsames Beratungsangebot für arbeitsmarktferne Menschen, die ins Berufsleben zurückkehren wollen. Arbeitstitel: "Die Finder". Eine ähnliche Idee war die Gründung einer mobilen Beratung über die Möglichkeiten beruflicher Teilhabe in der Region, inclusive der Vorstellung der Werkstattangebote. Eine Projektgruppe entwickelte Ideen, um das Image der Werkstatt neu zu denken, unter anderem auch um Personal und Mitarbeiter zu halten. Ein weiteres Projekt beinhaltete die Einführung eines Ideenmanagements in der Werkstatt – Arbeitstitel "Die Innovationsküche". Es soll Verbesserungsideen aus dem Unternehmen aufgreifen und weiterentwickeln. "Wir planen eine Vorfahrtsstraße für neue Ideen aus allen Unternehmensbereichen," lautete die Aussage. Eine andere Gruppe wollte Werkstätten ein Angebot unterbreiten, ihre Haltung auf den Prüfstand zu stellen. Dazu soll ein Selbsteinschätzungsbogen dienen, mit dem sie die personenzentrierte Ausrichtung ihrer Angebote überprüfen können. Für die Weiterentwicklung will die Gruppe Unterstützungsangebote bereitstellen.
vorstellung eines Projektes
Präsentation des Projekts Offener Raum: Öffnung und Vernetzung der WfbM
WfbM im "Offenen Raum"
Gleich mehrere Projekte griffen den Impulsvortrag der Stiftung Mensch aus Meldorf auf. Manche blieben nahe an deren Idee der "Sozialen Allianz", etwa mit einem Forum "Soziales trifft Wirtschaft" und "Offener Raum" oder mit dem Konzept "NetzWerkStatt", das ein lebendiges Unternehmensnetz gründen und mit Leben füllen will. Andere wollen zusätzlich ihr Werkstattangebot ausweiten, unter anderem, indem sie Unternehmen Unterstützung bei der Einarbeitung von Mitarbeitern mit Behinderung oder psychischen Auffälligkeiten bieten und damit die Erfahrungen ihrer Jobcoachs auf Firmen übertragen. Auch die Idee, Start-Up-Unternehmen in freiwerdende Werkstatträume einziehen lassen, wenn diese sich verpflichten, Werkstattbeschäftigte einzubinden, fand Nachahmer.
Das generelle Ziel der Vernetzungsideen: Die Werkstatt soll sichtbarer werden, ihr Image soll sich verbessern und ihre innere Einstellung soll sich verändern, indem sie sich als Teil des Gemeinwesens begreift und auch so präsentiert. Dazu lassen sich, so das Kalkül, die Stärken der Werkstatt nutzen und die Beschäftigte als Botschafter einbinden.
Eine der Projektgruppen dachte zusätzlich zur Öffnung nach außen über eine interne Neustrukturierung nach. Sie will "die Werkstatt neu denken und komplett umkrempeln". Auch sie plant Kooperationen mit externen Partnern und Dienstleistungsangebote im Sozialraum. Sie will aber auch die festen Strukturen aufbrechen, mehr Durchlässigkeit erzeugen, ggf. Betriebsstätten aufgeben und Partner in die Räumlichkeiten holen, Übergänge und Teilzeittätigkeiten in unterschiedlichen Werkstattformen und -angeboten ermöglichen. Dau will sie die ganze Palette der Möglichkeiten nutzen: Stationäre und virtuelle, also betriebsintegrierte Werkstattangebote im BBB und im Arbeitsbereich und die Einbeziehung von TAFÖ-Beschäftigten in all diese Angebote.
Die Saat soll aufgehen
Zum Abschluss des Kongresses hatten die Veranstalter ein symbolträchtiges Abschiedsgeschenk vorbereitet: Alle TeilnehmerInnen nahmen ein Tütchen mit Wildkräutersamen vom Typ "Bienenweide" mit nach Hause. Sie sollten, so Moderator Leo Baumfeld, die Kongressideen vor Ort aussäen und aufgehen lassen. Ihr Wachsen und der Flug der Bienen sollten den Sommer über an das Projekt und das Einlösen des abgegebenen Versprechens erinnern. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass einige der eingangs erdachten "unmöglichen Lösungen" für die Weiterentwicklung der Werkstatt die Chance haben, Realität zu werden.
Zurück zur ArtikelübersichtResümees von Teilnehmern des Innovationskongresses