Ist das Budget für Arbeit ein riesiger Flop?
Ein Kommentar aus 8/2019
Problem Lösung grafische Darstellung, Bild von Gerd Altmann auf pixabay
Seit 2018 haben Werkstattberechtigte einen Rechtsanspruch auf das Budget für Arbeit, wenn sie eine sozialversicherungspflichtige Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt antreten wollen, aber der Ansturm auf die neue berufliche Teilhabemöglichkeit bleibt aus – ist es deswegen richtig zu schlussfolgern, dass das Budget für Arbeit generell "ein riesiger Flop" ist, wie der Spiegel-online titelte?
Eine erste Bilanz
Richtig ist, dass eine erste Bilanz zur Inanspruchnahme des Budgets ernüchternd ausfällt. Richtig ist aber auch, dass es sich um einen Artikel handelt, der in vielen Dingen am Kern der Sache vorbeigeht. Es ist anzunehmen, dass der Autor nicht viele Erfahrungen hat mit der sehr heterogene Gruppe von Menschen mit einer dauerhaften Erwerbsminderung. Polarisierende Aussagen über eine "steigende Zahl von Menschen, die mit überdurchschnittlicher Intelligenz außer Sichtweite der Mehrheitsgesellschaft Briefe frankieren oder in der Wäscherei zu Dumpinglöhnen schuften" zeigen, dass hier jemand nicht weiß, was es bedeutet, mit "überdurchschnittlicher Inteligenz psychisch erkrankt zu sein. So wird man aber weder der Situation, noch den Menschen mit Behinderung gerecht. Außerdem muss klar sein: Das Eine wollen, heißt nicht, das Andere abzulehnen. Es sollte kein entweder Werkstatt oder allgemeiner Arbeitsmarkt geben – dafür ist die Gruppe der Anspruchsberechtigten viel zu heterogen. Und dies wird auch dem Wunsch- und Wahlrecht eines jeden einzelnen nicht gerecht.
Ziel erster Arbeitsmarkt?!
Wenn das Ziel ist, den Arbeitsmarkt mitsamt seiner Gesellschaft inklusiver zu machen und Menschen mit Handicap ein Wunsch- und Wahlrecht zu ermöglichen, dann ist es richtig zu bilanzieren, dass das Budget für Arbeit noch kein bundesweites Erfolgsmodell ist. Aber dass dies im Rückkehrschluss bedeutet, diese "Maßnahme sei ungeeignet für Inklusion" wie Oswald Utz, Behindertenbeauftragter der Landeshauptstadt München, es laut Spiegel online formuliert und ein "Flop", der "in der Praxis nicht funktioniere", wie es der Spiegel in einem Zitat von Verena Bentele zusammenfasst, hilft nicht weiter.
Übergänge können gelingen!
Das zeigen Modellprojekte, die es in einigen Bundesländern schon vor der bundesweiten Einführung des Budgets für Arbeit durch das BTHG gab. Allen voran Hamburg, wo seit Einführung eines lokalen Budgets für Arbeit im Jahr 2012 bis heute über 400 Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse vermittelt werden konnten. Bei insgesamt 4.000 Werkstattbeschäftigten im Stadtgebiet von Hamburg ist das ein Vermittlungserfolg von 10%. Auch in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen gab es Vorgänger zum bundesweiten Budget für Arbeit, die – manche mehr andere weniger erfolgreich – gezeigt haben, dass es unter bestimmten Umständen und mit professionellen Herangehensweisen möglich ist, eine Anzahl von Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu begleiten.
Mängel und Fehlanreize
Im Vergleich zu den Beschäftigten in Werkstätten von über 300.000 Menschen sind die Zahlen der Budgetnehmer vergleichsweise gering und ohne Frage existieren handwerkliche Mängel und Fehlanreize, wie die Auswirkungen auf die Rentenansprüche, die ausgeklammerte Arbeitslosenversicherung oder auch die unklare Zielsetzung von Werkstätten zwischen Reha- und Produktionsauftrag. Aber: Es geht. Das Budget für Arbeit ist grundsätzlich ein gutes Instrument und kann eine Alternative zu dem bestehenden Angebot sein.
Nicht ob, sondern wie?
Richtig wäre also zu fragen, wie und unter welchen Umständen es gelingen kann, Strukturen so zu verändern, dass neue Angebote geschaffen werden. In Hamburg waren es mehrere Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass neue Möglichkeiten der beruflichen Teilhabe entstehen konnten. Zuallererst der klare politische Wille des damaligen Sozialsenators, nachdem die Werkstattplätze zwischen 2003 und 2011 in Hamburg um 48% gestiegen waren. Das Hamburger Budget für Arbeit war gewollt und die bestehenden Werkstätten hatten den klaren Auftrag gemeinschaftlich mit den Vermittlungsdiensten Hamburger Arbeitsassistenz und Arinet eine Trendwende zu schaffen. Ziel: Menschen mit Behinderungen sollen auch außerhalb von Werkstätten arbeiten können. Methode: Supported Employment, erst platzieren – dann qualifizieren.
Beispielhaft Hamburg
Unterstützt durch eine Beratungsinitiative für Arbeitgeber/innen, eine Rentenberatung für Interessierte sowie ausgestattet mit ausreichend Mitteln für Lohnkostenzuschüsse, den vorbereitenden Vermittlungsaufwand und die Begleitung und Assistenz am Arbeitsplatz war das gemeinsame Ziel allen Beteiligten klar. Auch innerhalb der Verwaltung, die Bewilligungsbescheide lagen in der Regel nach zwei Wochen vor. Ausschlaggebend in Hamburg war auch, dass für die Werkstätten ein festes Trägerbudget mit Platzzahlbegrenzung vereinbart wurde und so das Eigeninteresse der Werkstätten, die Menschen in der WfbM zu halten, nicht mehr bestand. Seitdem sind es in Hamburg jährlich durchschnittlich 40 Übergänge in das Budget für Arbeit. Die Werkstätten haben gemerkt, dass eine neue Haltung funktionieren kann und ihr Produktportfolio um neue, attraktive Angebote im Sozialraum erweitert. Die Außenarbeitsquote bei den Elbe-Werkstätten liegt heute inzwischen bei 30%, Perspektive steigend.
Fazit
Das Budget für Arbeit muss also kein Flop sein, sondern funktioniert wenn:
• ein klarer politischer Wille seitens Politik und Verwaltung besteht,
• Personenzentrierung statt Institutionenzentrierung gedacht wird,
• Klarheit herrscht in der Zielsetzung der Anbieter,
• Zusammenarbeit und Austausch im Sinn der Zielsetzung stattfindet,
• gute Informations- und Beratungsangebote für potentielle Arbeitgeber und,
Arbeitnehmer vorhanden sind,
• eine hohe Vermittlungsprofession in Konzept und Methodik vorhanden ist.
Das BTHG hat mit dem Budget für Arbeit eine klare Richtung vorgegeben und der Auftrag ist es, diesen Weg einzuschlagen - auch wenn es an der einen oder anderen Stelle noch Verbesserungsbedarf gibt. Denn es besteht durchaus die Möglichkeit, beim Gehen den Weg zu gestalten und diese Chance sollten wir nutzen.