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Lerninseln: Qualifizieren, wann immer Bedarf besteht

Interview mit Robert Schöne, Elbe-Werkstätten

Bild Lerninseln: Qualifizieren, wann immer Bedarf besteht
Angelika Timmer zeigt Susanne Staats "Palettenpacken"

 19. März 2024 |  53° NORD | Textbeitrag

  Berufliche Bildung, Werkstätten, Kostenfreie Artikel

Vor fast zehn Jahren machen sich die Elbe-Werkstätten auf den Weg, damit für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch im Arbeitsbereich noch ein selbstbestimmtes Lernen am Werkstattarbeitsplatz möglich bleibt. Zudem sollte sich die Möglichkeit bieten, eigenständig Arbeitsprozesse zu erlernen und Kompetenzen anzueignen, auch bei erhöhtem Unterstützungsbedarf. Wir sprachen mit dem damaligen Leiter der Elbinseln Robert Schöne.

Was ist die Idee der Lerninseln?

53° NORD: Herr Schöne, wer in der WfbM von Qualifizierung redet, denkt meist an den Berufsbildungsbereich. Für den BBB sind Lerninseln aber nicht gedacht, oder?

Robert Schöne: Wir nutzen die Lerninseln vor allem im Arbeitsbereich. Dort kommen sienatürlich auch den Praktikanten aus dem BBB zugute. Es gibt aber auch bereits einzelneLerninseln im BBB. Zum einen geht es darum, Qualifizierung vor Ort bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen, also zu dem Zeitpunkt und an der Stelle zu qualifizieren, wo es benötigt wird. Wir haben bei den Elbe-Werkstätten seit Jahren eine Abwanderung in Außenarbeitsplätze und ins Budget für Arbeit und es sind häufig die Leistungsträger, die uns verlassen. Die Stellen müssen andere ausfüllen, sie müssen die neuen Leistungsträger werden. Wir brauchten also ein flexibles und effizientes Schulungsinstrument. Als wir die Lerninseln etabliert haben, zeigte sich schnell, dass sie auch die anderen Gruppenmitglieder weiterbrachten. Sie erlernten Tätigkeiten, an die sie sich vorher nicht herangetraut hatten. Die Lerninseln, bei uns heißt sie übrigens Elbinseln, sind ein Förderinstrument für alle und das kommt der Gruppe bzw. der Abteilung insgesamt zu Gute. Die Produktion verteilt sich auf mehr Schultern, wird effektiver und flexibler, weil es weniger Spezialistentum gibt.

Sie haben Ihre Elbinseln in die Gruppen- und Produktionsabläufe eingebunden?

Ja, in unseren wöchentlichen Gruppengesprächen geht es um die Aufgaben, die die Gruppe in der kommenden Woche gemeinsam zu bewältigen hat und es geht auch um die Nutzung der Elbinseln. Da geraten auch diejenigen ins Blickfeld, die sonst hinten runterfallen. Die werden in mehr Aufgaben geschult als früher und auch gleich in diese Aufgaben eingebunden. Elbinseln sind ein ständiges Training-on-the-job.

Wann haben Sie mit dem Projekt begonnen?

Das war 2015/16. Wir sind damals bewusst an allen Standorten zeitgleich gestartet, damit die Anlaufphase nicht zu lang und die Effekte für alle sichtbar wurden. Als Corona kam, ist der Prozess leider etwas ins Stocken geraten, aber seit dem 1. Juli haben wir wieder Regelbetrieb und geben den Elbinseln neue Impulse.

In der Bildung haben die WfbM viele Ansätze erlebt, die nicht praxistauglich waren und wieder in der Versenkung verschwanden. Droht den Elbinseln dasselbe Schicksal?

Das glaube ich nicht, dazu hat es schon zu lange Bestand und ist zu etabliert. Der Nutzen ist schon deutlich geworden und viele Gruppenleiter haben Lust darauf. Es gibt aber auch noch einige, die skeptisch bleiben und überzeugt werden müssen.

Wie überzeugen Sie die?

Für neuen Kolleginnen und Kollegen ist es Teil ihrer Einarbeitung. Wir bieten Fortbildungen zu dem Thema an. Dass die Elbinseln in vielen Gruppen dazugehören und funktionieren, tut seine Wirkung und auch die Beschäftigten fordern es ein. Letztlich gibt es aber eine klare Vorgabe der  Geschäftsleitung, das Instrument umzusetzen.

Wie sind Sie bei der Einführung vorgegangen?

Wie gesagt, wir haben an allen Standorten von Anfang an mit Leuchtturmprojekten begonnen, speziell in Gruppen, wo der Bedarf an Qualifizierung groß war. Wir haben keine festgelegte bestimmte Form vorgegeben, die überall gelten musste, sondern haben die Ausgestaltung der Kreativität der Gruppenleitungen überlassen, so dass die Elbinsel zu ihrer Sache wurde und sie sie an ihre Bedingungen anpassen konnten.

Das heißt es gibt nicht die Elbinsel, sondern viele unterschiedliche?

Genau. Mal ist es eine Ecke im Raum, die durch Metaplanwände abgetrennt ist, mal ist es ein eigener Raum, der auch für andere Zwecke genutzt wird. Mal ist es eine Lernsituation mitten im Geschehen, die dadurch verdeutlicht werden kann, dass ein Mentor sich den Elbinsel-Button anheftet und so signalisiert: Ich bringe gerade jemandem etwas bei.

Was sind Mentoren?

Mentoren sind Beschäftigte, die eine Tätigkeit gut beherrschen und ihr Wissen weitergeben. Das Peer-Prinzip hat sich in den Lerninseln sehr bewährt. Zum einen, weil die Beschäftigten von ihren Kollegen leichter etwas annehmen als von „Vorgesetzten“, zum andern, weil dies die Fachkräfte von zeitintensiven Schulungsaufgaben entlastet.

Werden die Mentoren auf diese Aufgabe vorbereitet?

Ja, sie erhalten eine Mentorenschulung, Handwerkszeug, das sie brauchen, um die Anleitung wahrzunehmen. Dazu gehören Grundregeln der Kommunikation und der Teamarbeit. Sie reflektieren die Lernsituation und ihr eigenes Verhalten.

Wieviel Aufwand benötigt das Konzept? Schulungen klingen personalintensiv.

Für die Gesamtsteuerung bin ich mit einem Stundenanteil von ca. 10 Wochenstunden zuständig. Jeder Standort hat bei uns zudem eine Person für die Einzelförderung, bei uns heißt sie Fachdienst Fortbildung/ Entwicklung, die auch für den Aufbau und die Begleitung der Elbinseln zuständig ist. In deren Zuständigkeit liegen u.a. die Mentorenschulungen. Die Hauptarbeit haben die FABs, die aber von den individuellen Anleitungen stark entlastet sind, so dass sie diese Zeit erübrigen können. Richtig ist: Wenn man es gut machen will, bedeutet das Arbeit. Elbinseln sind kein ganz einfaches Geschäft.

Sie haben den wirtschaftlichen Nutzen betont. Lässt sich der nachweisen?

Wir haben das nicht statistisch erhoben, aber es gibt viele Einzelberichte und schöne Beispiele. Ein Mentor hat z.B. eine Beschäftigte aus seiner Gruppe überzeugt, einen bestimmten Arbeitsgang zu erlernen. Von da an konnte sie einspringen, wenn jemand gebraucht wurde. Die Gruppe war flexibler und damit auch produktiver.

Setzen Sie das Elbinselkonzept auch bei Außenarbeitsplätzen ein?

Ja, in unseren Außenarbeitsgruppen machen wir das schon lange und mit Erfolg. Auf den  Einzelarbeitsplätzen sind wir dabei, digitale Hilfen zur Verfügung zu stellen.

Wie sieht das aus?

Da arbeitet jemand z.B. im Altenheim, mit sehr klar strukturiertem Tagesablauf und wiederkehrenden Tätigkeiten, die er selbständig bewältigen muss. Dem geben wir auf einem Tablet die einzelnen Schritte vor, morgens etwa, wie er Kaffee kochen muss, was alles dazugehört, bis hin zu sehr speziellen Hinweisen, etwa auf eine Schadstelle am Wasserhahn. So leiten wir ihn mittels digitaler Technik durch seinen Arbeitstag.

Wer programmiert das?

Den Einsatz der Technik lernen bei uns alle FABs und Arbeitsbegleiter. Wir haben 2019 eine Stelle für das E-Learning geschaffen, die die Technik mit den entsprechenden Programmen zur Verfügung stellt und die Kolleginnen und Kollegen im Umgang damit schult. Diese Schulungen öffnen wir jetzt auch für Mentoren.

Sie ergänzen also das Elbinselkonzept der Peer-Anleitung durch die digitale Anleitung?

Genau, das ist unser nächster Schritt.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schöne.

Wer weitere Fragen zu dem Qualifizierungskonzept der Lerninsel hat, der sei herzlich eingeladen zu dem "Einblick in die Praxis der Lerninseln". Mehr Informationen dazu hier.

Den KLAREN KURS Artikel „Reif für die Insel“ aus dem Jahr 2019 können Sie hier lesen (pdf)

Aus dem Newsletter 53° NORD | Juli 2021

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