Neufassung der Werkstattgesetzgebung steht bevor – was ist zu erwarten?
Diskussion mit den teilhabepolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen
In die Werkstattgesetzgebung soll in naher Zukunft Bewegung kommen. Mit der Umsetzung der Empfehlungen der Entgeltkommission strebt die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode eine grundlegendere Reform der Werkstätten an. Das berichteten die behindertenpolitischen Sprechern der SPD, CDU und Grünen in einer Online-Veranstaltung mit den Teilhabeexperten der Bundestagsfraktionen am 17. Februar 2023. Ausgangspunkt dieser Diskussion war eine Veranstaltung von 53° NORD zusammen mit dem Bundesverband evangelische Behindertenhilfe, Werkstatträte Deutschland und Dr. Jochen Walter von der Stiftung Pfennigparade aus München mit dem Titel „Berufliche Teilhabe neu denken, ein Entwicklungslabor“.
Darin entwickelten die Teilnehmer Ideen und Ansätze, die in eine künftige Reform einfließen könnten. Diese reichen von der Ermöglichung von mehr Selbstbestimmung und Personenzentrierung in allen Unterstützungsleistungen über eine unabhängige Beratung, ein durchgängiges und unabhängiges Case-Management einschließlich des verlässlichen Jobcoachings, die Gewährung aller Leistungen „aus einer Hand“ bis hin zur Neustrukturierung der Werkstätten.
In der Online-Diskussion sollten diese Forderungen mit den aktuellen Reformvorhaben der Politik abgeglichen werden. Eingeladen waren alle behindertenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen mit Ausnahme der AFD. Die Fraktionssprecher von FDP und Linken waren terminlich verhindert. Auf dem Podium waren vertreten:
- Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion
- Takis Mehmet Ali, Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen der SPD-Bundestagsfraktion. Er musste die Diskussion vorzeitig verlassen.
- Wilfried Oellers, Teilhabebeauftragter der CDU-Bundestagsfraktion. Auch er musste früher gehen und übergab an seinen Referenten
- Wolfram Giese, Referent für die Behinderten- und Teilhabepolitik der CDU-Fraktion
- Johannes Herbetz als Vertreter der Werkstatträte Deutschland
- Diskussionsleitung: Dr. Jochen Walter, Vorstand der Stiftung Pfennigparade.
Selbstbestimmung, Personenzentrierung und eine unabhängige Beratung
Erwartungsgemäß fand die Forderung nach Selbstbestimmung und Personenzentrierung die ungeteilte Zustimmung aller Podiumsteilnehmer, denn sie sind als Grundsatz im SGB IX und BTHG ausdrücklich verankert. Klar wurde aber auch, dass dies nicht Lippenbekenntnisse sein dürften, sondern wie Corinna Rüffer betonte, Wahlmöglichkeiten mit gleichwertigen und zugänglichen Alternativen zur Werkstatt voraussetze.
Aus dem Plenum kam der Hinweis, dass auch eine Beratung nur die Möglichkeiten zur Auswahl stellen kann, die vorhanden sind. „Der erste Schritt ist immer das Angebot, dann kommt die Beratung.“ Über die Bedeutung des Themas Beratung war sich das Podium ebenfalls einig. Allerdings solle es keine neuen Strukturen geben, verwiesen wurde überwiegend auf die bestehenden Beratungsangebote der Agentur und der Jobcenter und auf die EUTB.
Die Vorbereitung auf dem Übergang
Schnell bewegte sich die Diskussion in Richtung der Zugänge und Übergänge in den Arbeitsmarkt und der dafür erforderlichen Vorbereitung. Takis Mehmet Ali von der SPD erwies sich als Verfechter des Ausbildungsansatzes, den er auch für Menschen mit geistiger Behinderung für zielführend hielt: „Wir wollen, dass dieser Personenkreis stärker berücksichtigt wird, z.B. von den IHKs.“ Auch Berufsschulen müssen sich darauf vorbereiten, Teilzeitausbildungen und modularisierte Ausbildungen anzubieten, Unternehmen müssten verstehen, dass mache Menschen für die Ausbildung länger brauchten.
Jochen Mack, Leiter eines Inklusionsunternehmens in Augsburg, widersprach diesem Ansatz: „Es reicht nicht, Herr Ali, wenn wir für Menschen mit geistiger Behinderung die bestehende Ausbildung anders verpacken und kleiner machen. Wie brauchen für sie eine ganz neue Form der Ausbildung, praxisorientiert und sehr fokussiert, wo die Theorievermittlung auf die Praxis abzielt.“ Das Ziel sei einen guten Berufseinstieg. Das duale Ausbildungssystem sei für viele eine Überforderung.
Verlässliche und dauerhafte Begleitung
Aus dem Plenum kam der Hinweis, der entscheidende Punkt für eine gelingende Vermittlung in den Arbeitsmarkt sei ohnehin nicht die Vorabqualifikation, sondern die Einarbeitung in die Tätigkeit vor Ort, ein Jobcoaching nach dem Prinzip Place und Train. Um Inklusion in Arbeit zu erreichen, müsse es, wie im Entwicklungslabor gefordert, Jobcoachs geben, die das Heft des Handelns in die Hand nähmen. Diese Möglichkeit müsse für alle Leistungsberechtigten erreichbar und gesetzlich garantiert sein.
Corinna Rüffer schloss sich dieser Forderung an und betonte ihrerseits die Notwendigkeit einer verlässlichen und dauerhaften Begleitung, sowohl für den Zugang zum Arbeitsmarkt als auch für das Budget für Ausbildung. Viele Instrumente für eine erfolgreiche Vermittlung seien bereits vorhanden, aber „…wir brauchen Leute, die diese Instrumente kennen und die die Prokura haben, sie auch anzuwenden. Die nicht nur am Anfang eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern dauerhaft an der Seite der Menschen stehen und gucken, dass das auch gut funktioniert.“
Johannes Herbetz, Werkstatträte Deutschland, berichtete von seinen Schwierigkeiten, aus der WfbM auf den Arbeitsmarkt zu wechseln. „Das war problematisch. Ich habe es wirklich probiert, aber mir wurden von der Agentur für Arbeit Steine in den Weg gelegt. Ich sei mit 43 Jahre schon zu alt“. Er plädierte für eine unabhängige Beratung, wies aber auch darauf hin, dass viele Werkstattbeschäftigte einen Wechsel gar nicht anstreben, sondern ihren Arbeitsplatz behalten wollen.
Budget für Arbeit und Budget für Ausbildung
Wilfried Oellers von der CDU und sein Referent Wolfram Giese wiesen auf die Instrumente Budget für Arbeit und Budget für Ausbildung hin. Sie würden den Zugang zum Arbeitsmarkt sehr erleichtern, müssten aber noch verfeinert und nachgebessert werden. Die CDU habe gefordert, mehr über diese Möglichkeiten zu informieren sowie Beitragszahlungen zur Arbeitslosigkeit in das Budget aufzunehmen. „Da müsste man das Budget für Arbeit noch mal attraktiver machen.“
Corinna Rüffer sah beim Budget für Arbeit ebenfalls Nachbesserungsbedarf: „Wir wollen die Deckelung der Lohnkostenzuschüsse aufheben und die Zugangsvoraussetzungen präzisieren. Da gibt es in den Ländern Unklarheiten und unterschiedliche Handhabungen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, damit in der Anwendung seitens der Verwaltung keine Probleme entstehen, die nicht sein müssen.“ Die fehlende Arbeitslosenversicherung sei tatsächlich ein Problem, wie sich beim Kurzarbeitergeld in der Corona-Zeit gezeigt hätte. Budgetnehmer seien nicht leistungsberechtigt gewesen und die jetzige Regelung mache aus dem Rückkehrrecht in die WfbM mangels Alternativen eine Rückkehrpflicht. „Deswegen fand ich es gut, dass die Union in ihrem Antrag die Arbeitslosenversicherung thematisiert hat. Ich hoffe, dass wir das gemeinsam verfolgen können.“
Auch das Budget für Ausbildung ist den Sprechern der Fraktionen noch zu unbekannt. Für Corinna Rüffer gibt es aber ein wichtigeres Problem, das der Anbahnung. Auch beim Budget für Ausbildung brauche es jemand, der begleite, die Person vorbereite und dabei helfe, einen geeigneten Betrieb zu finden. Außerhalb der Werkstattstrukturen wären behinderte Menschen und ihre Angehörigen auf sich allein gestellt. In Rheinland-Pfalz helfe man sich mit dem Persönlichen Budget, aber es müsse eine vereinfachte Möglichkeit geben, genügend Zeit zur Anbahnung zur Verfügung zu stellen.
Die aktuellen Reformvorhaben der Bundesregierung
Die Änderungen im Budget für Arbeit seien, so berichteten die Regierungsvertreter, Teil der aktuellen Gesetzesvorhaben der Bundesregierung. Es läge ein Referentenentwurf für ein Gesetz zum inklusiven Arbeitsmarkt vor, der unter anderem Umsetzungsdefizite und Schwachstellen im BTHG beseitigen solle, insbesondere beim Budget für Arbeit. Ein weiterer Hebel für mehr Inklusion im Arbeitsmarkt sei die Ausbildungsgarantie, die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen ist. Takis Mehmet Ali verwies in diesem Zusammenhang auf positive Erfahrungen mit Projekten in Hessen und Oberfranken, die der Gesetzentwurf aufgreifen wolle.
Corinna Rüffer räumte ein, dass dieses Instrument in Bezug auf Inklusion nur von Wenigen diskutiert würde. Das Stichwort Inklusion sei im Gesetz derzeit nur angesprochen, wo es um die Fachpraktikerausbildung nach § 66 Bundesbildungsgesetz gehe, also um eine Öffnung der Einstiegsqualifikation. Eine Ausbildungsgarantie sicherzustellen, sei ein komplexes Vorhaben, das weit über den Personenkreis der Eingliederungshilfe hinausreiche: „Wir haben viele Jugendliche, nicht nur mit formalen Behinderungen, sondern auch mit Migrationshintergrund oder solche, die aus anderen Gründen keinen Schulabschluss haben und die wir derzeit nicht als ausbildungsreif begreifen.
Die müssen wir erreichen, wenn die Ausbildungsgarantie einen Effekt haben soll.“ Dazu bräuchte man zusätzliche Möglichkeiten im SGB VIII, der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch die enge Kooperation mit den Ländern, die für die Berufsschulen zuständig seien, und mit den Kommunen. Es stellen sich die Fragen: „Welchen Nutzen können Jugendberufsagenturen haben? Wie können wir die Instrumente des SGB IX einbeziehen? Wie können wir die Schnittstellen auflösen und die Angebote so gestalten, dass wir tatsächlich weiterkommen? Da haben wir noch viel Arbeit zu leisten.“
In der Frage, ob die Ausbildung der Königsweg für eine Vermittlung von Werkstattberechtigten ist, stimmte Corinna Rüffer Inklusionsbetriebsleiter Jochen Mack zu: „Wir sprechen über viele Jugendliche, für die die Fachpraktiker-Ausbildung nicht in Frage kommt und für die wir ganz andere Angebote machen müssen.“
Fortbestand der Werkstätten und Wunsch- und Wahlrecht
Beim großen Themenkomplex „Werkstattreform“ bemerkte Johannes Herbetz von Werkstatträte Deutschland: „Werkstätten müssen sich anpassen, aber bitte mit Zeit. Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ Und er machte den Vorschlag, die Inklusionsrichtung umzudrehen. „Fragen wir uns, wie kriegen wir den ersten Arbeitsmarkt in die Werkstatt herein?“
Sein Kollege Luzlim Lushtaku aus dem Vorstand von WR Deutschland bekräftigte diese Überlegung: „Wir sehen Werkstätten als Teil des inklusiven Arbeitsmarkts. Man kann versuchen, einzelne Firmenteile in die Werkstatt der Zukunft hinein zu holen, genauso wie Gruppen der Werkstatt in Firmen arbeiten können.“ Er betonte, dass speziell Menschen mit Mehrfachbehinderung auf die Werkstatt angewiesen seien und warnte, dass nach einer Reform Menschen auf der Strecke bleiben könnten und wieder zu Hause säßen, wie in anderen Ländern Europas geschehen.
Corinna Rüffer nahm diesen Faden auf und betonte, dass die Reformdebatte sich nicht um die Existenzberechtigung von Werkstätten drehe.“ Niemand will den Menschen ihr Wunsch- und Wahlrecht absprechen, wenn sie in der Werkstatt weiter beschäftigt bleiben möchten.“ Diesen Vorwurf höre sie seit einiger Zeit immer wieder und das sei Quatsch. „Es geht nicht um die Frage des Ob, sondern des Wie. Wir müssen wegkommen aus der Diskussion, die in Gräben geführt wird und uns keinen Millimeter weiterbringt.“
Sie betonte aber auch, dass für sie Werkstätten derzeit nicht Teil eines inklusiven Arbeitsmarktes seien. Diese Formulierung hielte sie für ein fatales Signal und sie sei aus dem Entwurf der Bundesregierung gestrichen worden. „Wenn Werkstätten jetzt schon Teil des inklusiven Arbeitsmarktes sind, dann ist der Handlungsdruck nicht hoch.“ Und den bräuchte man für die notwendige Weiterentwicklung, über die sich in dieser Runde grundsätzlich offensichtlich alle einig seien.
Mehr Außenarbeitsplätze und deren Befristung
Takis Mehmet Ali von der SPD betonte, die Werkstättenverordnung sei 40 Jahre alt und dringend reformbedürftig. Er sah die Zukunft der Werkstätten zu einem großen Teil außerhalb der Werkstattgebäude. Werkstattangebote könnten bedeuten, dass sie Menschen in Unternehmen betreuten. Allerdings sollten solche Plätze befristet sein. „Es muss aufhören, dass die Unternehmen die Beschäftigten nicht übernehmen.“ Die Werkstatt könne dann die Betreuung im Unternehmen stellen. Wenn das die Regel würde, wäre schon viel erreicht.
Johannes Herbetz von Werkstatträte Deutschland konnte der Verpflichtung von Unternehmen, Beschäftigte auf Außenarbeitsplätzen nach einiger Zeit einzustellen, etwas abgewinnen. Diese sollten aber im Sinne des Wunsch- und Wahlrechts entscheiden können, ob sie das Angebot annähmen. Zuviel Druck auf die Unternehmen können auch kontraproduktiv sein. „Dann sagen die irgendwann, ich biete keine Außenarbeitsplätze mehr und zahle lieber eine Sonderabgabe.“
Initiativen der Unternehmen und deren Inklusionsbereitschaft
Wolfram Giese wies darauf hin, dass Unternehmen in Sachen Inklusion durchaus initiativ wären. „Es gibt Modellprojekte, die gut funktionieren. Im Unternehmernetzwerk NRW haben sich Unternehmen zusammengeschlossen, auch größere wie REWE oder der Flughafen Köln-Bonn und beschäftigen Menschen mit Beeinträchtigungen in Inklusionsabteilungen. Im Unternehmen gibt es Ansprechpartner, die auch die Unternehmensleitungen beraten.“ Für Corinna Rüffer ist dies Netzwerk ein Beweis dafür, dass die Unternehmen in Sachen Inklusion teilweise weiter sind als die Politik vermutet. „Die nutzen alle Instrumente und da arbeiten zum Teil auch Leute mit hohem Unterstützungsbedarf. Das ist ein Beispiel, von dem wir uns Vieles abschauen können.“ Einige Unternehmen seien bereit, dieses Modell auf andere Bundesländer zu übertragen, stießen dort aber seitens der Regionaldirektionen der Bundesanstalt für Arbeit auf Widerstand. Das führe zu der Frage, was der Gesetzgeber tun können, damit Inklusion keine Frage des Wohnsitzes sei.
Unterschiedliche Interessen und Anreizsysteme
In Sachen Werkstattreform brachte Jochen Mack aus dem Publikum die Frage ein, wer eigentlich ein Interesse an einer verstärkten Inklusion hätte. „Werkstätten verlieren gute Arbeitskräfte, ihre Fitten. Eltern verlieren eine Sicherheit, Unterstützung in Form von Fahrdiensten usw. Und wenn die Beschäftigten auf den Arbeitsmarkt wechseln, droht ihnen, dass sie das Rentenprivileg verlieren. Sie haben einen höheren Druck und das Risiko der Arbeitslosigkeit. Zurzeit sind die Beteiligten eher gestraft, wenn sie das tun.“ Aus seiner Sicht bräuchte es eine strukturelle Diskussion, wie man Anreize setzen und die Akteure motivieren könnte, Menschen auf den Arbeitsmarkt zu begleiten. Strukturell seien die Weichen zu stark in Richtung Werkstatt gestellt.
Corinna Rüffer dachte in die gleiche Richtung und führte aus, dass die Platzzahl in Werkstätten über die Jahrzehnte gestiegen sei. „Als Werkstätten gegründet wurden, war es eine absolute Ausnahme, dass Menschen in Werkstätten beschäftigt wurden. Seitdem platzen Werkstätten aus allen Nähten. Es werden immer mehr Menschen auf das Werkstättensystem verwiesen.“ Sie stellte die Frage, in wessen Interesse dies sei und wer verhindere, dass gute Reha-Angebote unterbreitet und der Arbeitsmarkt inklusiver gestaltet würde. Insbesondere fasste sie dabei die Rolle der Bundesanstalt für Arbeit ins Auge: „Die sind ehrlich gesagt ganz froh, wenn sie die Leute nach dem BBB nach zwei Jahren als Kostenträger los sind und wissen, die bleiben in der Werkstatt als dauerhaft erwerbsgeminderte Personen, um die sich keiner außerhalb der Werkstatt mehr so richtig kümmert.“ Und auch in der Frage der Anreizsysteme stimmte sie Herrn Mack zu: „Wir müssen schauen, wer Interesse daran hat, die Menschen dauerhaft auf dem Weg in die inklusive Arbeit zu begleiten.“
Der Status „Dauerhaft volle Erwerbsminderung“
Einen weiteren, in ihren Augen zentrale Punkt in der Werkstatt-Gesetzgebung sprach die Grünen-Vertreterin an: Den des Werkstatt-Zugangskriteriums ‚Dauerhaft volle Erwerbsminderung‘. „Für mich ist das der Elefant im Raum und aus unterschiedlichen Gründen ein Problem: Weil Menschen dadurch von Fördermöglichkeiten ausgeschlossen werden, weil wir es mit Jugendlichen zu tun haben die möglicherweise eine Ausbildung gemacht haben, aber trotzdem als dauerhaft erwerbsgemindert gelabelt werden. Das macht was mit deren Selbstwert, das macht aber auch was mit Möglichkeiten, den Fuß wieder in die Tür zu bekommen. Und wenn wir davon ausgehen, dass wir die Erwerbsminderung dadurch relativieren könne, dass wir dauerhaft Nachteilsausgleich bezahlen, dann müssen wir uns konsequenterweise mit diesem Status auseinandersetzen.“
Wolfram Giese warnte hingegen davor, bei der Weiterentwicklung der Werkstattgesetzgebung die Grundlagen allzu sehr zu verändern. Die Werkstätten hätten Mehrfachaufgaben zu erfüllen: Zu rehabilitieren, wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen, zu vermitteln, aber auch einen geschützten Raum zu bieten. Werkstätten dürften nicht zu arbeitsmarktnah werden, „weil man dann notwendigerweise bestimmte Privilegien, Beispiel Kündigungsschutz, Beispiel Rentenprivileg, diese Schutzmechanismen runterfahren würde und bestimmten Menschen in der Werkstatt nicht gerecht würde. Das ist ein Zweispalt, den man im Auge haben muss.“
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Die unterschiedlichen Positionen in der Statusfrage waren kennzeichnend für den gesamten Verlauf der Diskussion. Während die Ampel-Vertreter Takis Mehmet Ali und Corinna Rüffer sich vehement für eine Weiterentwicklung des Systems einsetzten, Werkstätten zu Inklusionsdienstleistern umbauen, verlässliche Inklusionsbegleiter installieren und Anreizsysteme verändern wollten, stellten sich die Vertreter der CDU trotz mancher Veränderungsideen im Detail eher als Bewahrer des Status Quo dar.
Wolfram Giese vertrat die Meinung, das bestehende System erfülle grundsätzlich seine Aufgabe. Er stimmte ausdrücklich der Formulierung zu, Werkstätten seien Teil des inklusiven Arbeitsmarktes und appellierte an alle Beteiligten, ihren Auftrag im bestehenden System kooperativ wahrzunehmen: „Durch gute Beratung, ob durch die ETUB, ob durch einheitliche Ansprechstellen. Dass die verschiedenen Akteure, Werkstätten, Inklusionsbetriebe, Berufsbildungswerke, Arbeitgeber bereit sind, sich gegenseitig zu unterstützen, im Sinne der Menschen mit Beeinträchtigungen, das sollte das Ziel sein. Dass man von den Egoismen Abstand nimmt, und da sind natürlich auch die Werkstätten mit gefordert. Das sollte insgesamt der Gedanke eines inklusiven Arbeitsmarktes sein, dass man da eben vorankommt.
Konstruktiver Austausch
Trotz der Differenzen war auffällig, dass die teilhabepolitischen Sprecher sich im Interesse ihrer Sache um Einvernehmen bemühten. Sie standen offensichtlich in engem Austausch, duzten sich und nahmen Vorschläge anderer Fraktionen auf. Im Rahmen dieser Diskussion auch mit Werkstattvertreter in einen konstruktiven Austausch zu kommen, empfanden die Politiker offenbar als wohltuend. Corinna Rüffer resümierte: „Hier hat sich bewährt, dass wir nicht zurückgefallen sind in alte Grabendiskussionen: Werkstätten ja oder nein, sondern dass wir uns produktiv gemeinsam auf den Weg machen und auch Signale in Richtung Berlin senden, dass auch von Seiten der Werkstätten und Werkstatträte eine Weiterentwicklung gewünscht ist. Das empfinde ich als sehr hilfreich und danke herzlich dafür.“
Dem schloss sich auch Wolfram Giese an: „Ich muss auch sagen, es ist sehr wichtig, dass wir insgesamt aus diesen Gräben steigen, sachlich diskutieren. Ich finde, da sind wir auf einem sehr guten Weg und möchte Ihnen ganz herzlich, auch im Namen von Herrn Oellers, danken für die heutige Diskussion. Wir freuen uns auf eine Fortführung und stehen Ihnen inzwischen jederzeit gerne zur Verfügung.“
Für die Veranstalter schloss der Moderator Dr. Jochen Walter mit den Worten: „Mit unserem Entwicklungslabor haben wir uns bewusst an den Bedürfnissen unterschiedlicher Personen orientiert und notwenige Entwicklungen davon abgeleitet. Ich glaube, diese Idee ist ganz gut gelungen. Vielen Dank an alle Beteiligten auch von mir.“
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