Persönliche Zukunftsplanung – Selbstbestimmung statt Fürsorge
Ergebnisse eines Fachtags in Bremen
Die Behindertenhilfe tut sich schwer, ihre Tradition des fürsorglichen Expertentums für behinderte Menschen abzustreifen. Auch wenn verbal Personenorientierung und Selbstbestimmung propagiert werden, ist in den Institutionen und Diensten die verdeckte Lenkung und Einflussnahme noch sehr lebendig. Beispiel gefällig?
In der fortschrittlichen Berufswegekonferenz sitzt beispielsweise ein Schüler mit einer intellektuellen Einschränkung an einem Tisch mit seinen Lehrkräften, den Vertretern der Arbeitsagentur, des Integrationsfachdienstes und seinen Eltern. Die Konferenz selber ist zwar Teil eines längerfristig angelegten Planungsprozesses, der auch Praktika, Eignungstests und Unterrichtseinheiten umfasst. In den Sitzungen - und ebenso im gesamten Prozess - sind die Experten aber zahlenmäßig und aufgrund ihres besseren Überblicks die Überlegenen und haben das Heft des Planens in der Hand. Auch die Eltern verfolgen ihre eigene Agenda und die ist vielleicht nicht deckungsgleich mit den Interessen des jungen Mannes.
Geht es auch anders? Die Antwort lautet ja. Aber eine Alternative braucht Zeit, eine neutrale Unterstützung und eine geeignete Methode. Diese Methode kann in der Persönlichen Zukunftsplanung (PZP) bestehen.
Dabei handelt es sich um ein langfristig angelegtes Vorgehen, das die Person zum Experten in eigener Sache macht und ihr die nötige Zeit zur Entwicklung ihrer Ziele zur Verfügung stellt. Den Experten und eventuellen weiteren Personen aus dem Umfeld kommt bei diesem Vorgehen die Rolle der Unterstützer zu, die im Suchprozess und bei der Umsetzung der Planung behilflich sind. Ein entscheidender Vorteil dieser Methode: Sie beschränkt den Blick nicht auf die gerade vorhandenen Angebote, sondern gibt auch Träumen und Wunschvorstellungen Raum und schaut, was davon trotz aller Widrigkeiten realisierbar ist.
53° Nord hatte gemeinsam mit dem Regionalen Netzwerk Persönliche Zukunftsplanung in Bremen einen Fachtag organisiert, der die Methode Menschen mit Behinderung und Fachleuten vorstellte. In acht Workshops lernten die ca. 100 Teilnehmer sowohl das konkrete Vorgehen als auch die Einsatzmöglichkeiten kennen: Am Beispiel des Übergangs aus der Schule ins Berufsleben, aus der Werkstatt in den Arbeitsmarkt oder bei der Entscheidung für eine geeignete Wohnform. Die Nutzung, so erfuhren sie, ist nicht auf behinderte Menschen beschränkt, jeder kann sich in Krisen- oder Entscheidungssituationen dieses Instruments bedienen. Sogar Institutionen haben schon Planungen zu ihrer Weiterentwicklung erfolgreich mit der Persönlichen Zukunftsplanung absolviert.
Nutzer, Eltern und Experten berichteten in vielen Beispielen über den immensen Unterschied zwischen üblichen Planungsverfahren und dem Vorgehen mittels der Persönlichen Zukunftsplanung. Die PZP verhilft den Betroffenen zur Entscheidungsmacht über das eigene Leben, aktiviert bei ihnen selbst und bei ihrem Umfeld eine ungeahnte Motivation und Kreativität und führt zu Ergebnissen, die die Beteiligten kaum für möglich gehalten haben. Auch wenn dieser Fachtag nur ein Schnuppern war: Etwas von dieser Begeisterung übertrug sich auf die Teilnehmer und machte Mut, die Kraft selbstbestimmter Lebensplanung zu erproben.
Fazit: Drei Dinge wurden dabei deutlich
1. Bei grundlegenden, richtungsweisenden Planungen sollte die Moderation in neutralen Händen liegen. Ist die Entscheidung für ein Angebot gefallen, kann auch der Anbieter, also ein Dienst oder eine Institution, das Instrument bzw. Elemente daraus nutzbringend anwenden.
2. Moderatoren der Persönlichen Zukunftsplanung sollten das Instrument gut kennen. Ein Kennenlernen durch Co-Moderation oder Schulung sollte Voraussetzung sein, damit das Instrument nicht zur Beliebigkeit verkommt.
3. Unter professionellen Voraussetzungen ist auch der Einsatz bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf möglich − und er ist ein Prüfkriterium dafür, wie ernst es den Beteiligten mit der Verantwortungsübertragung ist.
Die grundsätzliche Erkenntnis des Tages aber lautete: Ohne die Zeit und den Raum zur eigenen Entscheidungsfindung, Erprobung und Realisierung, ohne Ermutigung und Unterstützung, ohne Übergriffe bleibt das Ziel einer "Personenorientierung der Behindertenhilfe" Stückwerk. Gesetzgeber und Kostenträger sollten deshalb die notwendigen Mittel und Möglichkeiten dazu bereitstellen.
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