Sind Werkstätten Teil eines inklusiven Arbeitsmarktes?
Ein Gastkommentar von Johannes Siegmund, Geschäftsführung Integral e.V.
Inklusion ist ein Konzept, das es jedem Menschen ermöglichen soll, unabhängig von seiner Herkunft, Fähigkeiten oder kulturellen Hintergrund, die gleichen Chancen und Rechte zu haben, Teil einer Gesellschaft zu sein. Obwohl Inklusion für jeden etwas anderes bedeuten kann, geht es grundsätzlich darum, Barrieren abzubauen, Teilhabe zu ermöglichen und Diskriminierung zu bekämpfen, sodass sich eine vielfältige und tolerante Gesellschaft entwickeln kann.
Werkstätten für Menschen mit Behinderungen spielen eine wichtige Rolle bei der Inklusion. Sie bieten Menschen mit Behinderungen eine sichere und unterstützende Umgebung, in der sie ihre Fähigkeiten und Talente definieren, entwickeln und ausüben können. Dies kann ihnen helfen, ihr Selbstvertrauen zu stärken und ihre Fähigkeiten auf den Arbeitsmarkt zu übertragen, was wiederum dazu beitragen kann, dass sie inkludiert werden. Viele Menschen mit Behinderungen möchten aber auch nicht, noch nicht oder nicht wieder auf dem 1. Arbeitsmarkt arbeiten, weil sie sich bewusst für den geschützten Raum entscheiden.
Ist dann der frei gewählte und geschützte Ort auch inklusiv?
Es ist wichtig zu beachten, dass Inklusion nicht immer ohne Herausforderungen verläuft. Es kann vorkommen, dass manche Menschen durch die Inklusion anderer benachteiligt werden, wenn beispielsweise Ressourcen knapp werden oder wenn es Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen gibt. Berlin macht zum Beispiel gerade Werbung für komfortable Halteeinrichtungen an Ampeln, die es den Radfahrenden ermöglichen, bei Rot nicht abzusteigen. Für diese Personengruppe ergibt sich ein angenehmer Vorteil, für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen oder Gehbehinderungen aber entstehen weitere Hindernisse im Straßenraum.
In Bezug auf das Arbeitsleben wissen viele Menschen den kollegialen Austausch im Büro, in Pausen und auf dem Flur zu schätzen. Auf der anderen Seite wünschen sich u.a. viele Menschen mit seelischen Behinderungen eine ruhige und störungsfreie Arbeitsumgebung. Welches Interesse würde man gegeneinander Aufwiegen, oder wäre an dieser Stelle die inklusive Lösung in getrennter Umgebung zu suchen? Kann also auch im Separieren ein inklusiver Ansatz stecken?
Um solche Probleme zu vermeiden, wäre es wichtig, eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, in der es genügend Ressourcen und Unterstützung gibt, um alle Bedürfnisse zu befriedigen. Eine inklusive Gesellschaft muss sich auch dafür einsetzen, Diskriminierung zu bekämpfen und Vorurteile abzubauen. An welcher Stelle steht unsere Gesellschaft in Bezug auf diese Aufgabe und welchen Beitrag leisten Werkstätten an dieser Stelle? Die Frage ob Werkstätten wirklich inklusiv sind oder ob sie einen geschützten Raum darstellen, bewegt Kolleg*innen in meiner Umgebung, Werkstatträte, Fachkräfte und auch die Öffentlichkeit.
Der anstehende Abschluss der Studie des BMAS zum Entgeltsystem in Werkstätten und das 2. Staatenberichtsverfahren Deutschlands durch die UN werden in diesem Jahr Beiträge zu genau dieser Fragestellung liefern und darüber hinaus zur Weiterentwicklung des Werkstattsystems. Das wichtigste Motiv an dieser Stelle wird seit Jahrzehnten bemüht: »Nichts über uns ohne uns«. Diesen Leitsatz zu berücksichtigen macht die Frage nach einer Definition zu in- und exklusiven Einrichtungen obsolet. Denn entscheidend ist nicht unsere Definition, entscheidend ist das Wunsch und Wahlrecht und das Handeln im Sinne dessen.
Was Inklusion bedeutet muss der Mensch mit Behinderung selbst definieren, denn er benennt die unüberwindbaren Hürden, die es zu überwinden gilt und das machen nicht Fachkräfte, Aktivist*innen oder Branchenexpert*innen. Es kann und sollte eine weitgehend inklusive Gesellschaft geben, in der Schutzräume frei wählbar sind.
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