Überlegungen zur Zukunft des Berufsbildungsbereichs in Werkstätten für behinderte Menschen
Ein Kommentar von Andrea Stratmann und Jochen Walter
Andrea Stratmann und Dr. Walter
Angesichts der Debatte zu einer „Herauslösung“ des Berufsbildungsbereichs (BBB) aus der Werkstatt und seiner „institutionsunabhängigen“ Vergabe erscheint es uns notwendig, vorerst einige Schritte zurück zu treten und sich zu den grundlegenden Zielen und möglichen Perspektiven des BBB zu verständigen.
Grundlage guter Arbeit
Allgemein gilt: Berufliche Bildung ist Grundlage guter Arbeit, beruflicher Fortentwicklung und persönlichen Wachstums. Berufliche Bildung sowie Persönlichkeitsentwicklung sind als fortwährende, dynamische und individuelle Prozesse zur Erlangung beruflicher Handlungsfähigkeit zu verstehen. Sie fördern Methoden- und Fachkompetenzen ebenso wie Sozial- und Individualkompetenzen.
Unter den Fachleuten ist es weiterhin unstrittig, dass diese Bildungsleistungen inhaltlich und strukturell am Arbeitsmarkt ausgerichtet sein müssen. Dies würde aus unserer Sicht eine Erweiterung hin zu einer dreijährigen beruflichen Qualifizierung und Bildung mit bundesweit einheitlichen Zertifikaten und der Anerkennung im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes bedeuten. Zugleich sind Teilqualifizierungen (Qualifizierungsbausteine, Voll-, Fachpraktiker- und Werkerausbildungen) vorzusehen, um den unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen der Menschen gerecht zu werden.
Es ist unter den Fachleuten ebenfalls Konsens, dass die Anwendung digitaler Lernumgebungen und der individuelle Einsatz von assistiven (KI-)Technologien gewährleistet und finanziert werden müssen.
Logik der dualen Ausbildung
Um diese Ziele möglichst optimal zu erreichen, könnte die Logik der dualen Ausbildung von betrieblichen und schulischen Elementen in sozialräumlichen Kontexten (praktische Ausbildungsphasen in Werkstätten und Unternehmen sowie Berufsschulunterricht) übernommen werden. Hierzu müsste ein verbindlicher Rahmen für den Berufsschulunterricht der Teilnehmenden am BBB durch die Bundesländer geschaffen werden. In einigen wenigen Bundesländern wird diese Dualität bereits in Ansätzen erfolgreich gelebt.
Die von der BAG WfbM entwickelten harmonisierten Bildungsrahmenpläne (hBRP) - ausgerichtet an anerkannten Vollausbildungen – könnten ein wichtiger Baustein für eine Reform sein. Sie sind einerseits anschlussfähig an vorhandene Standards der Berufsausbildung und gewährleisten andererseits eine individualisierte und personenzentrierte Ausrichtung durch Binnendifferenzierung.
Damit auch Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf ihr Recht auf berufliche Bildung wahrnehmen können, müssten die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sich auch Angebote der beruflichen Bildung entwickeln, die von diesem Personenkreis genutzt werden können.
Von diesen Zielen sind wir aktuell jedoch weit entfernt:
- Menschen mit Behinderung in Werkstätten werden aktuell deutlich benachteiligt, da sie nur ein Anrecht auf höchstens zwei Jahre beruflicher Bildung haben und ihre Bildungsabschlüsse noch wenig anschlussfähig und nicht im Berufsbildungsgesetz verankert sind.
- Es gibt keine bundesweit einheitlichen Zertifikate zum Abschluss des BBB. So fehlt die Orientierung für Arbeitgeber und ebenso die Wertschätzung der BBB-Absolventen.
- Eine lebenslange modulare Qualifizierung ist für Werkstattbeschäftigte nicht vorgesehen und wird nicht refinanziert. Der Sozialleistungsträger verweist auf die Agentur für Arbeit, diese wiederum auf die bereits erfolgte Finanzierung im Rahmen des BBB.
- Entgegen den Forderungen des Artikel 24 der UN-BRK wird Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf eine berufliche Bildung immer noch verweigert.
Digitale und/ oder assistive (KI-)Technologien werden nicht ausreichend refinanziert.
Inhaltliche Ansprüche definieren
Eine zukünftige Berufsbildung für Menschen mit Behinderung innerhalb oder außerhalb von Werkstätten mit den oben beschriebenen oder ähnlich umrissenen Zielen bräuchte zwingend prozessuale Absicherungen sowie Absicherungen zum notwendigen Qualifikations- und Weiterbildungsniveau des Fachpersonals.
Wir befürchten jedoch – und dies ist in der Vergabepraxis bei Arbeitsmarktdienstleistungen leider die Regel - dass mit der Ausgliederung des BBB aus der Werkstatt und der vergaberechtlichen Ausschreibung einer entsprechenden Maßnahme durch die Bundesagentur für Arbeit nicht die fachliche Weiterentwicklung des Angebots, sondern stattdessen ein massiver Qualitätsverlust im Vordergrund stehen wird.
Insbesondere die vorherrschende Angebotswertung nach der sog. erweiterten Richtwertmethode, die bei der endgültigen Vergabe nur solche Angebote berücksichtigt, die in einem engen Preiskorridor um das günstigste zu wertende Angebot liegen, führt de facto zu einem reinen Preiswettbewerb, bei dem beispielsweise tarifgebundene Anbieter regelmäßig nicht berücksichtigt werden.
Erst wenn die inhaltlichen Ansprüche an einen zukünftigen BBB umrissen sind, ist die Diskussion um seine Verortung und Vergabepraxis zielführend. Sonst wird das „Kind mit dem Bade ausgeschüttet“ und in einigen Jahren reiben sich die politisch Verantwortlichen die Augen und wundern sich, was sie angerichtet haben.
Andrea Stratmann, Geschäftsführerin Gemeinnützige Werkstätten und Wohnstätten GmbH Sindelfingen, stellvertretende Vorsitzende BAG WfbM
Dr. Jochen Walter, Vorstand Stiftung Pfennigparade, stellvertretender Vorsitzender BAG WfbM
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