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Unsere Nachhaltigkeit in der Vermittlung liegt bei 91 Prozent – nach 25 Jahren

Interview mit Thomas Wedel, Geschäftsführer und Werkstattleiter Reha und Integration der Boxdorfer Werkstatt

Bild Unsere Nachhaltigkeit in der Vermittlung liegt bei 91 Prozent – nach 25 Jahren
Thomas Wedel, Geschäftsführer und Integrationsbegleiter bei den Boxdorfer Werkstätten

 09. April 2025 |  Katrin Euler und Dieter Basener | Textbeitrag

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Die Boxdorfer Werkstatt ist mit gerade einmal 165 Werkstattplätzen und 30 Plätzen im Förderstättenbereich eine der kleinen der Nürnberger Region. Sie ist spezialisiert auf Angebote für Menschen mit Körperbehinderungen. Gegründet wurde sie im Jahr 1974, seit Beginn der 90er Jahre kümmert sie sich gezielt um Vermittlungen auf den Arbeitsmarkt. Anders als in anderen Werkstätten setzen die Boxdorfer beim Thema Integration nicht auf Außenarbeitsplätze, sondern bemühen sich immer um eine Festvermittlung.
Übergänge sind Sache von Thomas Wedel, der 1996 als Integrationsberater eingestellt wurde. Welchen Stellenwert das Thema Vermittlung einnimmt, lässt sich daran ablesen, dass Thomas Wedel auch stellvertretender Werkstattleiter und Mitglied der Leitungsebene ist. KLARER KURS sprach mit ihm über "Arbeit+", Vermittlungsquoten und die erfolgreiche Gestaltung eines Vermittlungsprozesses.

KLARER KURS: Herr Wedel, die Boxdorfer Werkstatt setzt sich seit fast dreißig Jahren für die sozialversicherungspflichtige Vermittlung von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt ein. Können Sie uns einen Einblick in Ihre Werkstatt geben?

Thomas Wedel: Wir sind eine kleine Werkstatt mit speziellen Angeboten für Menschen mit körperlichen Behinderungen in Nürnberg und bieten 165 Plätze an. Etwa 25 % unserer Beschäftigten haben eine erworbene Hirnschädigung, 75 % sind von Geburt an oder progressiv körperbehindert, oft mit weiteren Einschränkungen. Unsere Schwerpunkte sind Barrierefreiheit und Assistenz – 30 % unseres Personals sind Assistent*innen. Zudem arbeiten einige Menschen mit Lern- oder geistiger Behinderung aus der Region bei uns.

Der Inklusionsdienst in Ihrer Werkstatt trägt den Namen "Arbeit+". Was steckt dahinter?

"Arbeit+" steht für mehr als nur Arbeit: Es geht um die besondere Begleitung, die individuellen Umstände und die Unterstützung, die unsere Teilnehmer*innen benötigen.

Welche Herausforderungen gibt es für Sie bei der Vermittlung?

Eine wesentliche Voraussetzung ist bei uns aufgrund unseres Klientels die Barrierefreiheit am Arbeitsplatz, was nicht immer gegeben ist. Das erschwert den Vermittlungsprozess. Oft sind Stufen vor der Tür oder es fehlt das barrierefreie WC

Wie hoch ist Ihre Vermittlungsquote?

Die klassische Vermittlungsquote ist irreführend, weil sie pro Jahr auf die gesamte Belegschaft gerechnet wird und nicht im Verhältnis zum jährlichen Zuwachs. Wenn wir von den Neuaufnahmen ausgehen, liegt unsere Vermittlungsquote bei 30 % – also pro Jahr etwa eine Vermittlung auf drei Neuaufnahmen. Viel wichtiger ist mir aber die Nachhaltigkeit: 91 % der von uns vermittelten Personen sind auch nach 25 Jahren noch im Arbeitsmarkt beschäftigt. Das zeigt, dass wir passgenau platzieren und uns langfristig kümmern.

Darf Ihre Werkstatt Menschen nach der Vermittlung langfristig betreuen?

Eigentlich geht in Bayern die Begleitung dann an den Integrationsfachdienst über. Wir sind aber seit 2001 Gesellschafter des IFD in Nürnberg und können über diesen Weg langfristige Begleitung sicherstellen. Ich begleite aktuell sieben Menschen aus früheren Vermittlungen – die längste Begleitung bisher endete nach 25 Jahren mit dem Renteneintritt.

Vermitteln Sie nur in sozialversicherungspflichtige Stellen?

Ja. Wir haben keine Außenarbeitsplätze, sondern zielen nur auf reguläre Arbeitsverträge ab.

Wie groß ist Ihr Team?

Wir sind zu zweit. Mein Kollege ist gelernter Schreiner, Heilerziehungspfleger und Sozialpädagoge. Ich selbst bin Sozialpädagoge, arbeite seit 1996 in der Boxdorfer Werkstatt und bin seit acht Jahren in der Geschäftsführung. Dennoch bin ich weiterhin in der Vermittlung aktiv – Inklusion ist für uns Chefsache.

Was ist Ihre Philosophie?

Wir wissen um die Auswirkungen der Vermittlung auf die Beschäftigten. Ein Arbeitsvertrag kann viele positive Entwicklungen nach sich ziehen, von Veränderungen im Wohnbereich bis zur Familiengründung. Gleichzeitig wünschen wir uns den gesellschaftlichen Respekt und die Anerkennung, wenn jemand feststellt, dass er den Rahmen der Werkstatt braucht. Jeder soll seine eigene Entscheidung treffen dürfen. Diese eigene Entscheidung ist das eigentlich Wertvolle.

Wie gestalten Sie den Vermittlungsprozess?

Interessenten bewerben sich bei uns, schriftlich oder in Ausnahmefällen auch mündlich. Eine direkte Ansprache gibt es nicht, aber das Verfahren ist allen bekannt, u.a. durch Besuche Ehemaliger und durch die Weihnachtsfeiern, auf denen Vermittlungserfolge vorgestellt werden.

Wie erfolgt die Vorbereitung auf die Vermittlung?

Nach der Bewerbung folgt eine bis zu 1,5-jährige Schulungsphase mit den Schwerpunkten Training sozialer Kompetenzen, EDV und Büroorganisation. Anschließend werden externe Praktika nach Vorerfahrungen, Wünschen und Stärken ausgewählt. Auch die Persönliche Zukunftsplanung spielt eine Rolle.

Wie lange dauert eine Vermittlung durchschnittlich?

Im Schnitt 40 Monate ab der Bewerbung – manchmal aber auch deutlich länger. Mein längster Vermittlungsprozess dauerte 24 Jahre und umfasste 21 Praktika.

Sind alle Vermittlungsversuche erfolgreich?

Nein, manche Menschen stellen fest, dass der reguläre Arbeitsmarkt nichts für sie ist – auch das ist eine wichtige Erkenntnis.

Welche Faktoren fördern den Vermittlungserfolg?

Motivation, Lernbereitschaft und Anpassungsfähigkeit. Es sind nicht immer die auf den ersten Blick leistungsstärksten Personen, die erfolgreich vermittelt werden.

Können Sie ein ermutigendes Beispiel nennen?

Eine Kollegin, die einen Talker als Kommunikationsmittel nutzt und die auf den Rollstuhl und umfassende Assistenz angewiesen ist, absolviert gerade ein Praktikum als Dozentin für Unterstützte Kommunikation an einer Fachschule für Heilerziehungspflege. Ob daraus eine Festanstellung oder etwas anderes wird, ist offen, aber dies ist bereits ein großer Schritt für sie.

Wie bewerten Sie die Anforderungen der Arbeitsagentur an die Vermittlungsquote?

Ich sehe die steigenden Erwartungen kritisch. Viele BBB-Teilnehmende haben bereits andere Maßnahmen erfolglos durchlaufen und brauchen zunächst Selbstvertrauen. Vermittlung darf nicht zum Pflichtziel werden und braucht manchmal auch viel Zeit.

Welche gesetzlichen Änderungen wären in Ihren Augen notwendig?

Ich wünsche mir zunächst einmal mehr Flexibilität, z. B. die Möglichkeit zu kombinierten Teilzeitmodellen mit Werkstatt und Betrieb. Wir handhaben das schon mit unserem "Boxdorfer Modell". Darüber hinaus bräuchten wir drei konkrete gesetzliche Änderungen:

  1. Ein "Rucksack-Prinzip": Menschen müssen bereits im Praktikum Zugang zu notwendigen Hilfsmitteln und Assistenz erhalten.
  2. Die Möglichkeit, von der vollen Erwerbsminderung in die teilweise Erwerbsfähigkeit zu wechseln um auch kleine Schritte möglich zu machen.
  3. Den Nachteilsausgleich in der Rentenversicherung für alle ehemaligen Werkstattbeschäftigte – nicht nur in Inklusionsfirmen oder im Budget für Arbeit.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wedel.

 

KONTAKT

BZB – Behindertenzentrum Boxdorf gGmbH
Thomas Wedel
Boxdorfer Werkstatt
wedel(ät)boxdorfer-werkstatt.de
www.boxdorfer-werkstatt.de

 

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