Eine angemessene Selbsteinschätzung
10 Faktoren die eine Einschätzung der eigenen Fähigkeiten behindern
zwei Hände greifen nacheinander
Das Wissen um die eigenen Fähigkeiten, um das eigene Können spielt bei der Suche nach einem passenden Arbeitsplatz eine entscheidende Rolle. Das Kennen der eigenen Stärken vermittelt nicht nur Orientierung, sondern auch Selbstbewusstsein, was ein entscheidendes Element bei einer erfolgreichen Arbeitsplatzsuche darstellt. Die eigenen Stärken zu benennen fällt aber oft schwer, auch Menschen ohne diagnostizierte Behinderung tun sich damit nicht immer leicht. Wir alle sind es eher gewohnt, unsere Schwächen zu benennen, als unsere Stärken.
Bei Menschen mit Behinderung ist diese Sichtweise noch viel stärker ausgeprägt, eine defizitorientierte Denkweise vielfach gelernt. Zudem sind viele Fähigkeiten nicht ohne weiteres erkennbar oder durch erlangte Zeugnisse und Zertifikate testiert. Was aber keineswegs bedeutet, dass sie nicht vorhanden sind. Oft brauchts es dafür einen geeigneten Partner und die richtige Herangehensweise.
Zehn Faktoren aber behindern eine angemessene Selbsteinschätzung. Wirken diese zehn Faktoren auch noch zusammen, machen sie es einem extrem schwierig, realistische Antworten zu finden und die einfache Frage nach dem eigenen Können kann zu vielfältigen Fehleinschätzung führen.
10 Faktoren die eine Selbsteinschätzung der behindern
Faktor 1: Fehlendes Lernen
Viele Menschen, insbesondere Menschen mit geistiger Behinderung, haben nie gelernt, die eigenen Fähigkeiten zu benennen. Von früher Kindheit an sind sie das Objekt pädagogischer Bemühungen, im Mittelpunkt steht immer der nächste Schritt dessen, "was es noch zu lernen und zu verbessern gilt". Eine Selbsteinschätzung der vorhandenen Fähigkeiten und Stärken findet nicht statt. Das gilt übrigens auch für andere Jugendlichen: Es gibt in unserem Schulsystem keinen Kurs, kein Verfahren dazu, sich mit den eigenen Fähigkeiten auseinandersetzen – auch nicht in der Ausbildung oder an der Hochschule.
Faktor 2: Verwirrung
Auf die Frage nach ihren Kompetenzen greifen Menschen oft auf ihre formalen Qualifikationen zurück ("dieser absolvierte Kurs, dieses Zertifikat, dieser Abschluss oder diese Teilqualifikation") und hoffen, das wird reichen. Sie spüren jedoch selbst, dass ihre formalen Qualifikationen nur einen Bruchteil dessen darstellen, was sie können. Sind keine formalen Qualifikationen vorhanden, stellt dieser Zugang ohnehin ganz schnell eine Sackgasse dar.
Faktor 3: Angst
Wenn man spürt, dass man keine schnelle Antwort auf die Kompetenzfrage findet, entsteht oft die Befürchtung: "vielleicht bin ich nicht gut genug". Der Prozess der ehrlichen Selbsteinschätzung leidet erheblich unter der Angst, das Falsche zu sagen.
Faktor 4: Resignation
Oft wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach versucht, die Fähigkeiten zu bestimmen. Wenn er oder sie dabei keine (oder keine befriedigenden) Ergebnisse erreicht hat, zieht man oft den falschen Schluss: "Ok, ich denke, ich habe einfach keine Fähigkeiten; Warum sollte ich dann versuchen, etwas zu finden? Ich gebe es auf."
Faktor 5: Falsche Bescheidenheit
Kein Mensch möchte als eingebildet abgestempelt werden, niemand will als Angeber gesehen werden. Viele Klienten haben das Mantra ihrer Eltern verinnerlicht: "Nette Leute reden nicht über sich selbst." Sie sträuben sich innerlich dagegen zu sagen: "Das kann ich!", weil sie sofort das Bild von Profis vor Augen haben, Profis, die (natürlich) alles viel besser machen.
Faktor 6: Die Suche nach schnellen Antworten
Wir schalten den Fernseher ein: Das Programm beginnt sofort. Wir stellen Google eine Frage: Die Antwort kommt in Sekunden. Wenn man nach den eigenen Fähigkeiten gefragt wird und erkennt, dass es nicht möglich sein wird, schnell eine Antwort zu geben, dann nehmen viele von ihnen (fälschlicherweise) an: "Ich denke, da ist einfach nichts."
Faktor 7: Fehlende Zeit
Jemandem zu helfen, seine Fähigkeiten zu erkennen und zu akzeptieren, ist also niemals ein schneller Prozess. Es braucht Zeit, um sich an dieses Denken zu gewöhnen. Manche Organisationen streben eine Art von "Effizienz" an und geben der Fähigkeitsanalyse nur wenig Raum. Fähigkeiten zu entdecken braucht Zeit, eine Fähigkeitsanalyse sollte sich stundenweise auf mehrere Tage oder sogar Wochen verteilen.
Faktor 8: Mangelnde Struktur
Manchmal verlässt man sich in der Fähigkeitsanalyse auf etwas, was Intuition, Empathie oder Bauchgefühl genannt wird. Eine Vorgehensweise die beschrieben wird als "Naja, ich rede einfach mit der Person und bekomme dabei ein Gefühl dafür, was er oder sie kann." Dieser intuitive Ansatz beinhaltet aber Zufälligkeit, die vieles unentdeckt lässt. Alles hängt davon ab, was demjenigen in dem Moment spontan einfällt. Stellen wir uns eine Klientin vor, die mit acht Jahren Blockflöte im Ensemble gespielt hat oder sich um den Hund eines Nachbars gekümmert hat oder sich um den sterbenden Großvater gepflegt hat.
Derartige Erinnerungen liefern wertvolle Hinweise auf intrinsisch motivierte und daher potenziell berufsrelevante Fähigkeiten. Intuitive Ansätze sehen jedoch keine methodischen Schritte vor, um gezielt solche Ereignisse aufzudecken.
Faktor 9: Mangelnde Fantasie
Für die Vermittlung wird eine Fähigkeit erst dann relevant, wenn eine Idee entsteht, wie diese spezielle Fähigkeit für einen Arbeitgeber von Wert sein könnte. Die bloße Tatsache, dass jemand schön lächeln kann, bleibt unerheblich, bis wir eine Vorstellung davon haben, welcher Arbeitgeber einen Mitarbeiter braucht, der häufig und authentisch lächelt.
Oder stellen wir uns jemand vor, der ziemlich geduldig ist. In der Regel wird diese Person ihre Geduld als selbstverständlich und natürlich ansehen. Bis sie sich eine Beschäftigungssituation vorstellen kann, in der "Geduld" eine bedeutsame Rolle spielt, wird sie ihre Geduld nicht ernsthaft als nützliche Fähigkeit betrachten. Mangelnde Vorstellungskraft verhindert, dass Klienten wichtige Fähigkeiten erkennen.
Faktor 10: Implizites Wissen
Für jede einzelne Fähigkeitsanalyse muss man davon ausgehen, dass die allermeisten Fähigkeiten für die eigenen Überlegungen unsichtbar bleiben; viel kommt einem einfach nicht in den Sinn. Wenn man sich fragt oder gefragt wird, "welche Fähigkeiten habe ich denn?", so denkt man kaum je über Kompetenzen nach wie, „Ich weiß, wie man eine Tasse Kaffee macht“ oder „Ich weiß, wie man Lebensmittel zum Frühstück einkauft und zubereitet“, aber der Wert einer erfolgreichen Fähigkeitsanalyse besteht darin, dass man etwas sieht, was man vorher nicht gesehen hat.
FAZIT
Fähigkeiten sichtbar zu machen, ist selbst eine wertvolle Fähigkeit die man erlernen kann und sollte, wenn man Fähigkeitsanalyse professionell betreiben möchte. Eine gute Methoden dafür ist zum Beispiel das Life/Work Planning. Ein Planungsverfahren, das Menschen bei der Suche nach Arbeit hilft. Das Besondere an diesem Verfahren ist, dass die suchende Person in den Mittelpunkt gestellt wird und nicht der Arbeitgeber oder der Arbeitsmarkt oder die Beschäftigungsprognosen – also 100% personenzentriert.
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