Wie die Trisomie des kleinen Theo eine Lawine in Gang setzte
Das Projekt ShowDown der Werkstatt Aschaffenburg

"Mit 37 das erste Kind? Sie sollten einen Test machen," empfahl der Arzt der werdenden Mutter. Das Ergebnis der Pränataldiagnostik: Das Kind hat das Down-Syndrom. Der Arzt riet dazu, das Kind abzutreiben. "Der arme Mensch wird nie selbstständig werden und für Sie ist viel Leid mit so einem Kind verbunden." Wie die Entrüstung über diese Sichtweise zu einer spontanen Idee führte und wie daraus ein Projekt mit vielen engagierten Menschen entstand, das die Welt ein wenig zu verbessern hilft, das ist die Geschichte von ShowDown, einer Ausstellung über Menschen mit Down Syndrom.
Eine Idee gegen Unwissen und Ignoranz
Die Hauptpersonen in dieser Geschichte ist Kristin Kaiser, Heilerziehungspflegerin und Gruppenleiterin der Werkstatt Aschaffenburg. Die werdende Mutter ist ihre Cousine, die vor drei Jahren ihren Rat suchte. "Sie erzählte mir niedergeschlagen von der Down Syndrom-Diagnose. Meine spontane Reaktion war: ‘Oh, wie schön.’ Ich erlebe Menschen mit Down-Syndrom als lebensfroh und selbstbewusst, als Personen, die gut im Leben zurechtkommen. Menschen mit Down-Syndrom führen kein lebensunwertes, sondern ein erfülltes, meist glückliches Leben und sie können ihrer Familie und ihrer Umgebung sehr viel geben und sind eine Bereicherung. Meine Zuversicht bestärkten meine Cousine darin, das Kind zu bekommen. Theo ist heute zweieinhalb und entwickelt sich prächtig."
Die Empörung über den Rat des Arztes zur Abtreibung teilte Kristin Kaiser mit ihrer Kollegin Katrin Ellenrieder. Gemeinsam suchten sie spontan eine Möglichkeit, der verbreiteten Sicht auf Behinderung als "Krankheit" und "Leiden" etwas entgegenzusetzen. Kristin Kaiser: "Wir wollten zeigen, was aus den Kindern wird und was wir in der Werkstatt Tag für Tag erleben dürfen." Ihre Idee war eine Fotoausstellung, die dies vermitteln sollte. Sie sollte der Öffentlichkeit einen Einblick in eine meist verschlossene Lebenswelt geben, Ärzte aufklären und Eltern ermutigen.
Das Fotoshooting
Die beiden zögerten nicht lange, den Plan in die Tat umzusetzen. In der Werkstatt fanden sie 17 Models mit Down Syndrom, gewannen sie für ein Fotoshooting und bekamen die Einwilligung der Eltern bzw. gesetzlichen Betreuer. Markus, der Ehemann von Katrin Ellenrieder, ist Fotograf und ließ sich ebenfalls für die Idee begeistern. Die Bilder sollten in der Werkstatt entstehen. Der Werkstattleiter gab dazu sein Okay und der Geschäftsführer wurde Schirmherr des Projekts.
Die Initiatorinnen dachten von Beginn an professionell und machten sich auf die Suche nach Unterstützern. Kristin Kaiser: "Ein Textilgeschäft spendete Kleidung für das Shooting, ein Metzger übernahm das Catering, eine Eisdiele sagte ihren mobilen Eisladen zu. 20 Ehrenamtliche übernahmen den Umbau, das Ausleuchten, das Bügeln oder das Styling. Wir hatten sogar jemanden mit Spiel- und Sportangeboten für die Wartezeit."
An einem warmen Samstag im September 2023 sollte das Projekt starten. Das Shooting dauerte von morgens früh bis in den Abend. "Wir begannen mit einer Serie von Portraits aus dem Arbeitsleben. Wir nannten sie den ‘Worker-Style’. Dann folgte die Glamour-Serie, geschminkt, gestylt und in bester Garderobe. Unsere Models ließen sich nicht lange bitten. Sie hatten Spaß daran, sich zu präsentieren und verbreiteten gute Laune. Das Shooting bestätigte unsere Botschaft: Menschen mit Trisomie 21 sind fröhlich und unkompliziert. Für alle Beteiligten war es ein denkwürdiges Erlebnis." 1.000 Fotos entstanden an diesem Tag. Hinzu kamen noch Fotos einer weiteren Fotografin über das "Making-Of", den Blick hinter die Kulissen bei der Entstehung der Bilder.


Die erste Ausstellung
Drei Monate später, im Dezember 2023, zeigte das ShowDown-Team in der VHS Aschaffenburg eine Multivisionsschau von knapp 30 Minuten über die Fotosession, mit Dias, Musik, Texten und ausgedruckten Fotoportraits, noch nicht gerahmt. Die Schau brachte eine Einladung für eine erste Ausstellung in der Fachschule für Heilerziehungspflege für März 2024.
Bis dahin gab es noch viel zu tun: Für eine gute Präsentation der Bilder suchte das Team die Hilfe erfahrener Galeristen. Die Besitzer einer Aschaffenburger Bildergalerie rieten zu einem einheitlichen Format, einer hochwertigen staubgeschützten Alu-Rahmung und einem UV-beständigen Druck. 35 Portraits fanden Eingang in die Ausstellung. Ergänzt wurden sie mit 15 kurzen Texte, als Kontrast zur Professionalität der Bilder schlicht, bunt und handgeschrieben auf Karton. Dazu ein Flyer mit Erläuterungen über das Projekt. Die Texte waren Zitate der Models, ihrer Eltern und Unterstützter. Die Eltern von Model Max steuerten beispielsweise den Slogan bei: "Max-imaler Charme", Prof. Jörg Klepper, der Leiter einer Kinderklinik, den leicht provokanten Satz: "Ein Mensch mit Down-Syndrom wird niemals ein Hitler" und ein befreundeter Psychiater befand: "Menschen mit Down-Syndrom brauchen manchmal ein bisschen Hilfe, so wie jeder Mensch."
Am 21.03.2024 dem "Welt Downsyndrom Tag" war es soweit: Die erste Ausstellung konnte mit einer Vernissage in der Fachschule starten. Wieder wurde sie vorbereitet von Ehrenamtlichen. Für Musik und Catering war gesorgt, ein Redner eingeladen, die Presse informiert. Die Bilder waren mit roter Futterseide verhängt und warteten darauf, von den aufgeregten Models enthüllt zu werden. "Das war großes Kino", wie Kristin Kaiser sagt. Die Ausstellung war ein Erfolg. Die Folge: Die Presse berichtete über das Projekt und der Bayerische Rundfunk wurde aufmerksam. Stadträte aller Parteien boten ihre Zusammenarbeit an, Prominente wie der Landrat, der Oberbürgermeister, der Bischof von Würzburg, der Kabarettist Urban Priol und Sportreporter Dominik Klein wurden zu Unterstützern. Auch Spenden flossen, etwa aus einem Fond der Bezirksregierung und aus dem Gewinnsparen der Bayerischen Raiffeisenbanken.
Die Lawine rollt
Der Bann war gebrochen, die Anfragen für die Ausstellung häuften sich, nicht alle konnten erfüllt werden. Eine fand statt in der Fachschule für Heilerziehungspflege in Würzburg, eine weitere zur Woche der Vielfalt in der Stadtbibliothek im benachbarten Alzenau. Eine Anfrage der Stadtsparkasse Aschaffenburg ließ sich aus Platzgründen nicht realisieren, nicht alle Bilder hätten gehängt werden können und das Team entschied: "Man kriegt uns ganz oder gar nicht". Für 2025 gibt es u.a eine Anfrage aus Anlass der Museumsnacht im Juli und zum Ende des Jahres will der Bezirk Unterfranken die Ausstellung mit einem Schwerpunktprogramm zur gesellschaftlichen Teilhabe verbinden.
Kristin Kaiser denkt schon weiter und verfolgt die Idee einer "Modelagentur". Ihre ShowDown-Models könnten Modeling-Aufträge in der Werbung übernehmen. Einen ersten Erfolg landete sie beim Verein One Day, der soziale Projekte in Deutschland und in Afrika initiiert, ein Café betreibt und auch eine Modelinie aufgelegt hat. Drei ShowDown-Models waren zum Shooting für den Modekatalog eingeladen und präsentieren One Day-Mode im Internet. Zu ihnen gehörte auch Konstantin, der inzwischen an zwei Tagen in der Woche im One Day-Café arbeitet.
Mittlerweile ist aus der losen Gruppe von Unterstützern ein festes Team geworden, das seine Zusammengehörigkeit mit einheitlichen T-Shirts zeigt. Jeder und jede hat ihre Aufgabe gefunden: Es gibt den ShowDown-Musiker mit eigenem ShowDown-Song, die Kuchenbäckerin, die Floristin, Dekorateure und Aufbauspezialisten. Eltern und Beschäftigte sind involviert.

Kritische Stimmen und die Antwort darauf
Kristin Kaiser verschweigt nicht, das ShowDown auch mit Kritik konfrontiert wird: "Ein Vorwurf lautet, das Projekt sei zu oberflächlich. Behinderung sein nicht nur easy, es gäbe auch Probleme, individuelle und gesellschaftliche. Ein anderer Vorwurf: Wir würden einseitig eine Gruppe in den Fokus stellen, die besonders vorzeigbar erscheint. Wo blieben beispielsweise die Menschen mit Autismus und weiteren Behinderungen?" Das alles seien richtige Einwände, sagt sie, aber das Projekt habe sich nun einmal so entwickelt. "Wir sind uns klar: Was wir tun, ist nur ein Mosaikstein, aber einer mit großer Wirkung." ShowDown verstehe sich als Projekt, das das Positive in den Vordergrund stellt, aber auch eine politische Aussage mache. "Wir stehen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben in Unterschiedlichkeit. Wir lenken die Aufmerksamkeit auf den Wert jedes Menschen, ob mit oder ohne Behinderung. Und wir setzen ein Zeichen gegen die Ausgrenzung von Minderheiten, gegen Hass und Spaltung."
Schön, dass es Theo gibt und dass er von seinen Eltern so positiv gesehen und angenommen wurde. Dies ist möglicherweise auch der Überzeugungskraft und positiven Herangehensweise von Kristin Kaiser zu verdanken. Wünschenswert wäre, dass sein Leben durch die Strahlkraft des ShowDown-Teams und Projektes, vielleicht ein bisschen inklusiver und chancenreicher verlaufen kann. Das sollte die Mühe wert sein.
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