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Wir müssen das System Werkstatt ganz neu denken

Interview mit Johannes Chudziak, Sozialdezernent des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe

Bild Wir müssen das System Werkstatt ganz neu denken
Johannes Chudziak, LWL Sozialdezernent

 31. Juli 2023 |  Dieter Basener | Textbeitrag

  Haltung, Wahlfreiheit und Selbsbestimmung, Berufliche Bildung, Weiterentwicklung der beruflichen Teilhabe, Werkstätten, Kostenfreie Artikel, Im Gespräch mit...

53° NORD: Herr Chudziak, können Sie für unsere Leser erläutern, für was der LWL, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, zuständig ist?

Johannes Chudziak: In NRW gibt es zwei überörtliche Kommunalverbände, den LWL, den Landschaftsverband Westfalen-Lippe und den LVR, den Landschaftsverband Rheinland. Sie sind neben anderen Aufgaben zuständig für die Eingliederungshilfe in ihrer nahezu kompletten Breite und damit verantwortlich für die Umsetzung des BTHG. Der LWL hat 27 Mitgliedskörperschaften, Kreise und kreisfreie Städte, die ihn über eine Umlage finanzieren und denen er rechenschaftspflichtig ist. Es ist das „Prinzip Landkreis“, nur eine Ebene darüber.

Sie haben die Aufgabe des Sozialdezernenten des LWL zum Jahresanfang von Matthias Münning übernommen, der auch der Vorsitzender der BAG überörtlicher Sozialhilfeträger war. Wie war Ihr beruflicher Werdegang?

Ich bin Jurist, habe 2007 beim LWL als persönlicher Referent des Ersten Landesrates begonnen und war dort anschließend in der Haupt- und Personalabteilung tätig. 2013 wurde ich in Herne zum Sozialdezernent gewählt, hab mich nach neun Jahren wieder beim LWL auf die Nachfolge von Matthias Münning beworben und bin seit dem 1.1.2023 in der Funktion des Sozialdezernenten.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Thema berufliche Teilhabe?

In meiner Funktion in Herne war ich Kuratoriumsvorsitzender der wewole-Stiftung, einem Teilhabe-Anbieter für Wohnen und Werkstatt, an dem die Stadt Herne zu 50% beteiligt ist. Aber auch beim LWL habe ich Vorerfahrungen mit dem Bereich gesammelt. Die Eingliederungshilfe ist ja für den LWL vom Volumen her das wichtigste Thema und ist mir deshalb über die Jahre geläufig.

Das Ziel des LWL: Sonderstrukturen vermeiden, Übergänge schaffen

Die Zielsetzung von Herrn Münning war es, Sonderstrukturen zu vermeiden und vermehrt Übergänge in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Bleibt es dabei?

Dabei bleibt es. Wir wollen das auch noch einmal forcieren. Im Haus sind dazu gerade Vorlagen unterwegs. Eine heißt »Projekt Aufbruch«. Sie hat das Ziel, die jetzige Arbeitsmarktsituation als Chance zu nutzen, Menschen mit Behinderung in Arbeit zu bringen. Außerdem wollen wir Zugänge in Werkstätten möglichst im Vorfeld schon vermeiden und die Menschen über Programme wie das Budget für Arbeit in den Arbeitsmarkt bringen. Wir sind auch Träger des Integrationsamtes, und stellen fest, dass die Zahl der Arbeitslosen mit Behinderung doppelt so hoch ist wie die durchschnittliche Arbeitslosigkeit. Auch da wollen wir mehr Effekte erzielen. Und schließlich wollen wir unsere eigene Schwerbehindertenquote auf 10 % steigern. Im Moment liegt sie bei über 7 %.

Der LWL hat vor Kurzem ein Modellprojekt abgeschlossen, um Alternativen zur Beschäftigung in der Werkstatt zu fördern und Übergänge aus der Werkstatt zu verbessern. Was ist das Ergebnis?

Das ist das Modellprojekt »Neue Teilhabeplanung Arbeit« (vgl. KK  8/22 »Es ist ja kein Geheimnis, dass Übergänge auf den AM noch Potential nach oben haben«) . Da haben wir sehr viel in Netzwerke investiert und den Betreuungsschlüssel bei unseren Sachbearbeitungen deutlich verbessert. Dabei haben wir festgestellt, dass man den Zugang in die Werkstätten darüber tatsächlich beeinflussen kann. Das Konzept wollen wir auf ganz Westfalen-Lippe ausdehnen und die Teilhabeverfahren regional organisieren. Dadurch sind wir erheblich näher dran, können die Steuerung schon im Vorfeld stärker beeinflussen und den direkten Weg aus der Förderschule in die Werkstatt unterbrechen. Für den Übergang aus der WfbM wollen wir uns zunächst auf Beschäftigte auf Außenarbeitsplätzen fokussieren, die ja schon arbeitsmarktnah tätig sind.

Reicht es, dafür Verwaltungsstellen auszubauen? Müssen nicht vor allem die Dienste gestärkt werden, die die Unterstützung in den Betrieben leisten, sprich: die Integrationsfachdienste?

Das gehört auch dazu. Wir haben ja flächendeckende IFDs, die wir natürlich in das Konzept einbinden wollen. Es geht ja darum, den Zugang in die Werkstätten anders zu regulieren. Da ist das ein Baustein. Und es geht darum, arbeitsmarktnahe Werkstattbeschäftigte zu identifizieren und sie über Förderprogramme, auch mit den IFDs, in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen.

Werkstätten sollen rehabilitieren, nicht wirtschaftlich tätig sein

Der Bundestag hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, die das Thema Werkstattlöhne untersuchen und Lösungsvorschläge machen soll. Wie sehen Sie eine Anhebung der Entgelte auf den Mindestlohn?

Das macht mir Sorge. Das Thema wird auch in der BAGüS stark diskutiert. Wir müssen sehen, was das Gutachten ergibt. Werkstätten sind weiter notwendig, aber sie müssen stärker den Reha-Gedanken verfolgen als den Wirtschaftlichkeits-Gedanken. Ihr gesetzlicher Auftrag ist es, ihre Beschäftigten in Richtung Arbeitsmarkt zu entwickeln und das machen sie zurzeit sehr unterschiedlich. Anhand der Übergangszahlen sehen wir, dass manche viel vermitteln und bei manchen so gut wie nichts passiert. Natürlich ist uns klar, dass Werkstätten nach dem jetzigen System wirtschaftliche Ergebnisse erzielen müssen und wenig Interesse daran haben, ihre Leistungsträger abzugeben. Das zweite Thema ist, dass viele Menschen aus den Werkstätten nicht unbedingt rauswollen, was natürlich auch mit der sozialversicherungsrechtlichen Situation zusammenhängt, sprich dem Anspruch auf EM-Rente. Diese beiden Themen und ihre Konsequenzen werden ab dem zweiten Halbjahr politisch diskutiert. Dabei muss man meines Erachtens darauf schauen, dass keine Fehlanreize entstehen. Wenn wir ein System schaffen, das einen Mindestlohn und dazu noch einen Anspruch auf eine relativ hohe EM-Rente nach 20 Jahren ermöglicht, dann ist es wenig attraktiv, in den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln.

Die Werkstatt böte alles, was den ersten Arbeitsmarkt attraktiv macht, nur ohne Leistungsdruck.

Genau, das ist die Befürchtung, die ich habe und die auch in anderen Bundesländern und in der BAGüS geteilt wird. Die Werkstätten müssen ihr Reha-Geschäft betreiben und man sollte nicht versuchen, das Beste aus allen Welten in der Werkstatt zu konzentrieren. Es muss weiterhin Anreize geben, das Werkstattsystem zu verlassen. Aber ich würde es schon aus rein bürokratischen Gesichtspunkten begrüßen, wenn existenzsichernde Leistungen mit dem Werkstattentgelt ausgezahlt würden, damit nicht bei jeder Schwankung des Werkstattlohns oder bei Sonderzahlung gegengerechnet werden muss. Das gehört zum Gesamtthema dazu.

Ist das kein Widerspruch, wenn Sie vor einer Anhebung des Werkstattlohns auf Mindestlohnniveau warnen und gleichzeitig den Werkstattlohn um existenzsichernde Leistungen aufstocken? Das wäre doch genau das, was Sie nicht wollen: Dass man kann von seinem Werkstattlohn leben kann.

Man muss das System im Ganzen neu denken, nicht einfach an der Lohnschraube drehen. Wir haben im Moment ein System, das den Lebensunterhalt von Werkstattbeschäftigten auf unterschiedlichen Wegen sicherstellt, so dass letztlich mindestens das Sozialhilfeniveau herauskommt. Dabei zählt die Rente, die Grundsicherung, der Werkstattlohn und ggf. Vermögen mit. Und der Werkstattlohn reguliert das wie ein kommunizierendes Röhrensystem. Je mehr Werkstattlohn, desto weniger aus den anderen Töpfen. Es geht also um eine existenzsichernde Leistung, deren Berechnung und Auszahlung möglichst einfach ist. Die aber so gestrickt ist, dass ein Übergang in den ersten Arbeitsmarkt sich noch lohnt. Und da muss man auch das Thema Rentenansprüche einbeziehen und neu regeln.
Wie lassen sich Anreize für die Werkstätten so verändern, dass sie durch Vermittlungen nicht Einnahmen verlieren und damit betriebswirtschaftlich bestraft werden, sondern dass Vermittlungen ihnen nützen?

Wäre ein Trägerbudget wie in Hamburg eine Lösung?

Man muss das Gesamtsystem Werkstatt in seiner Finanzierung anschauen und sehen: Ist das so zukunftsfähig? Dadurch, dass die Grundlöhne erhöht worden sind, kommen einige Werkstätten schon in Bereiche, wo es nicht wirklich rentabel ist. Bei anderen ist es kein Problem. Und da stellt sich für mich die Frage nach der Werkstattfinanzierung insgesamt. Ist sie noch das richtige Modell? Muss ich den Werkstattlohn erwirtschaften und soll gleichzeitig meine Leistungsträger abgeben? Klar, das widerspricht sich. Und dann muss man entweder sagen, es gibt Prämien für Übergänge, um das auszugleichen, oder man schaut sich alle Finanzierungsquellen an, die das System hat und gestaltet daraus eine neue Finanzierung, die a) eine Motivation für die Werkstatt bietet, stärker rehabilitativ zu arbeiten, die Menschen zu befähigen, b) eine existenzsichernde Leistung für die Beschäftigten sichert und c) möglichst wenig Bürokratie erzeugt. Der Entwurf des Gutachtens für den Bund, den ich schon gesehen habe, ist an der Stelle sehr sparsam.

Das heißt, Sie haben wenig Hoffnung, dass es in dieser Legislaturperiode noch zu einem großen Wurf gelingt? Zumal es ja offensichtlich sehr unterschiedliche Interessen gibt…

Unterschiedliche Player haben unterschiedliche Interessen, klar. Das Ministerium wird sich nach der Sommerpause, so der Plan, mit dem Gutachten befassen und Vorschläge machen. Da wird dann die Diskussion losgehen. Ich weiß, dass einige Bundesländer auf der BAGüS-Linie sind: Wir brauchen die Werkstätten, aber im Schwerpunkt als Reha-Anbieter. Und wenn wir die Lohnfrage angehen, darf die Werkstatt nicht attraktiver sein als der Arbeitsmarkt.

Wie stehen Sie zu dem Thema Arbeitnehmerrechte für Werkstattbeschäftigte?

Wenn wir davon ausgehen, dass die Werkstatt tatsächlich in Zukunft in erster Linie ein Rehabilitationsanbieter sein soll, dann glaube ich, ist es nicht der richtige Weg, sie zu Arbeitnehmern im Sinne des Arbeitsrechtes zu machen. Das Arbeitsrecht ist anders gestrickt als das Werkstattrecht und das kann durchaus zweischneidig enden.

Das Zugangskriterium zur Werkstatt neu fassen und ein »Abschieben« verhindern


Es gibt derzeit auch eine Diskussion über die Zugangskriterien zur Werkstatt. Die Frage lautet: Ist jemand »voll erwerbsgemindert« oder »arbeitsfähig«? Ein Einwand gegen das Attestieren einer »vollen Erwerbsminderung« besagt: Jeder, der arbeiten kann, wenn auch mit Unterstützung, ist auch arbeitsfähig. Ein anderer Einwand: Die »volle Erwerbsminderung« sei stigmatisierend und wirke als Self-fulfilling-prophecy. Was sagen Sie?

Ich halte es für sinnvoll, diese Trennung aufzuheben, weil es schwierig ist, eine formale Grenze zu ziehen. Ich bin ohnehin der Auffassung, dass man den Arbeitsmarkt als inklusiven Arbeitsmarkt verstehen sollte. Man muss personenbezogen kucken, welches Angebot braucht man, dass ein Mensch am Arbeitsleben teilhaben kann. Gerade im Bereich der psychisch behinderten Menschen ist die Leistungsfähigkeit häufig schwankend. Deshalb ist die Grenzziehung schwierig und es ist im Zweifel für Leistungsträger auch nicht uninteressant, jemanden in die Werkstatt zu schreiben.

Sie meinen die Arbeitsagentur?

Genau. Und auch in Bezug auf die Rente kann man versucht sein, Menschen in die WfbM rüberzuschieben. Wir setzen da stark auf Kooperation mit den anderen Leistungsträgern. Es ist natürlich sinnvoller, das System Arbeit so zu strukturieren, dass man einen 30 Jahre jungen, psychisch erkrankten Menschen nicht vom SGB III ins SGB II und dann in die Werkstatt schiebt, sondern versucht, ihn wieder Richtung ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Das ist auch eine Erkenntnis aus unserem Modellprojekt: Je engagierter sich die Partner, insbesondere die BA bzw. Jobcenter, daran beteiligen, die Menschen im Arbeitsmarkt zu vermitteln, umso höher sind die Erfolge. Oft hängt das vom Einzelengagement der Beteiligten ab. Das heißt aber für die Zukunft, es darf keinen Anreiz geben, Menschen in die Werkstatt abzuschieben.

Das Kriterium der vollen Erwerbsminderung soll ja nicht diskriminieren, sondern die Leistungsberechtigung eingrenzen. Wie würden Sie die denn zukünftig definieren?

Ich habe keine Patentlösung parat. Und Sie haben Recht, die Abgrenzung ist nicht ganz profan, deshalb gilt diese Formulierung wohl bis heute. Wenn man allerdings auf die Forderung nach personenzentrierter Betrachtung im BTHG schaut, dann kann man natürlich auch zu anderen Ideen kommen. Wenn ich jeden Menschen auf seine aktuelle Leistung und Befähigung hin anschaue, dann lautet anfangs die Einschätzung vielleicht: Im Moment ist das jemand, der »kann nur Werkstatt«. Dann muss ich im Zweijahres-Rhythmus immer wieder betrachten, wie die Entwicklung ist. Und wenn die Werkstatt ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommt zu qualifizieren, kann es nach einiger Zeit zu einer Neubewertung der Leistungsfähigkeit kommen. So ein Konzept kann ich mir vorstellen.

Den BBB aus der Werkstatt herauslösen und die WfbM zur »letzten Lösung« machen

Dreh- und Angelpunkt bleiben die Unterstützer. Werkstätten sind zuständig für Qualifizierung, Beschäftigung und die Vermittlung. Müsste man das nicht entzerren und auf unterschiedliche Schultern verteilen?

Ja, das muss man definitiv entzerren. Für die nähere Zukunft sehe ich vor allem die Neuorganisation der Werkstattlöhne als vordringlich. Dabei steht auch die Frage im Raum, wie die Werkstätten sich dabei finanziell wiederfinden. Dann geht es aber auch um die Vermittlung, und die besten Erfolge erzielt man bei denen, die jetzt schon auf Außenarbeitsplätzen sind und bei denen »an der Eingangstür«. Im Berufsbildungsbereich muss aus meiner Sicht der Fokus sehr verschoben werden. Nicht zu schauen, wo die Menschen in der Werkstatt am besten aufgehoben sind, sondern ob es andere Möglichkeiten gibt. Die Werkstatt sollte die letzte Lösung sein.

Bedeutet das, den BBB aus der Werkstatt herauszulösen?

Ich halte das zumindest für eine sinnvolle Lösung. Man muss nur sehen, wie man das organisiert. Das Ausschreibungssystem der BA generiert nicht immer die besten Lösungen. Den Zuschlag an den wirtschaftlich Günstigen zu vergeben, hat gerade bei gemeinnützigen Trägern dazu geführt, dass sich viele aus dem Markt zurückziehen und kommerzielle Träger ein Übergewicht entwickeln, denen dann aber das kommunale Netzwerk fehlt. Die Möglichkeit, das zumindest räumlich von den Werkstätten zu trennen, halte ich für einen sinnvollen Ansatz. Wir wissen aber auch: Die Szene wird darauf reagieren. Dann hat man ganz schnell Bereiche zumindest formal ausgegliedert.

Ein weiteres Thema sind die Anderen Leistungsanbieter nach § 60 SGB IX. Der LWL hat bisher keinen einzigen Zuschlag für einen anderen Leistungsanbieter erteilt. Wird das so bleiben?

Unsere politische Beschlusslage besagt: Andere Anbieter wollen wir nicht forcieren. Wir haben einen Katalog beschlossen, was der Andere Anbieter konzeptionell anstreben soll, nämlich, dass die Menschen dort nicht dauerhaft bleiben, sondern dass der Träger sie in Richtung erster Arbeitsmarkt entwickelt. Wir hatten ursprünglich fünf Bewerbungen und sind jetzt mit Dreien in sehr konkreten Verhandlungen, aber noch nicht zum Ende gekommen. Wir sagen aber auch, die Konstruktion der Anderen Anbieter ist ein »Werkstatt light«, nur zu höheren Kosten, dadurch, dass das, was die leisten müssen, vergleichbar mit der Werkstatt sein soll, sie aber nicht die Möglichkeit haben im Overhead über Masse Effekte zu erzielen. Dadurch liegen die Tageskostensätze nach unserer Erfahrung über denen der Werkstätten. Und wir sehen im Moment nicht, dass die vom Konzept her was Anderes tun als die WfbM. Das Ganze ist in unseren Gremien allerdings umstritten, es könnte sein, dass sich hier politisch noch was bewegt. Unsere Linie ist aber: Wir wollen Werkstattplätze zurückbauen und nicht ein zusätzliches Angebot unterstützen, das mit der Werkstatt vergleichbar ist.

Keine Öffnung für andere Zielgruppen, aber Umwandlung profitabler Bereiche in Inklusionsunternehmen

Wenn Sie Werkstätten zurückbauen wollen, stellt sich die Frage, was man mit den vorhandenen Kapazitäten macht. Eine Lösung könnte sein: Die Werkstatt für andere Zielgruppen zu öffnen und zeitlich begrenzte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu bieten. Die Vorteile: Inklusion nach innen und Nutzung der vorhandenen Kapazitäten und Ausstattungen. Was halten Sie davon?

Da bin ich sehr zwiespältig. Auch hier hängt es davon ab, wie die Diskussion um die Werkstattlöhne läuft. Wir als LWL, aber auch in der BAGüS, wollen auf jeden Fall verhindern, dass es einen Trend gibt, dass Menschen aus dem SGB II-Bereich letztlich in der Werkstatt landen und feststellen, dass dieses Setting ja ganz angenehm ist. Wir wollen keinen Sog in die Werkstätten erzeugen. Das ist unsere Priorität. Sonst bestünde die Gefahr, dass man das System in seiner jetzigen Form erhält.

Eine andere Idee, mit freien Kapazitäten umzugehen, ist die, dass man Firmen die Möglichkeit gibt in der Werkstatt zu produzieren, wenn sie auch Werkstattbeschäftigte einstellen. Ist das sinnvoll?

Wenn wir davon wegkommen, dass Werkstatt so bleibt wie sie ist, und Werkstattlöhne durch die Produktion zu erzielen sind, muss man natürlich gucken, was man mit den Kapazitäten macht. Unsere Idee ist es, dass Werkstätten Inklusionsunternehmen an den Markt bringen und dazu auch die jetzigen Räume der Werkstatt nutzen. Wenn ich einen produktiven Metallbereich oder Holzbereich habe, kann ich den in ein Inklusionsunternehmen umwandeln, einen Teil der Menschen, die dort jetzt schon tätig sind, weiterbeschäftigen und das dann aufstocken. Da muss man eventuell die Bedingungen für Inklusionsunternehmen anpassen, etwa in Fragen der geringeren Umsatzsteuer.

Werkstätten werden aber mit 80% des Gesamtbudgets subventioniert und zahlen Durchschnittslöhne von 200 Euro, Inklusionsfirmen mit 30% und zahlen Tariflöhne. Der Unterschied ist gewaltig.

Wenn die Produktivität der Werkstätten sinkt, weil wir mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt bringen, dann müssen sie sich auch darauf einstellen, wie sie mit der neuen Situation umgehen und wie sie ihre vorgehaltenen Kapazitäten anders nutzen. Die Umgestaltung des Systems Werkstatt wird dann auch solche Konsequenzen mit sich bringen.

Zum Schluss: Was ist Ihre Vision für 2040? Wo steht die Werkstatt dann und was ist ihre Aufgabe?

Es wird die Werkstatt noch geben. Die Forderung, die Werkstätten aufzulösen, ist für mich nicht realistisch, denn es wird immer Menschen geben, die zu weit weg sind vom ersten Arbeitsmarkt. Die Werkstatt wird Teilhabe am Arbeitsleben für stärker behinderte Menschen bieten. Der Gedanke der Inklusion wird hoffentlich dadurch realisiert, dass die Verbindung zur Wirtschaft sich nicht nur auf Aufträge bezieht, sondern sich auch in vielen Übergängen niederschlägt.

Vielen Dank, Herr Chudziak.

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