Die Chance im Spiel - Professionelle Theaterarbeit mit Menschen mit Behinderung
53° NORD-Theaterworkshop im Theater Augenblick, Würzburg
Zum dritten Mal bietet 53° NORD Anfang Februar allen Theaterbegeisterten in Würzburg einen Workshop zum Thema "Professionelle Theaterarbeit mit Menschen mit Behinderung". Die beiden vorausgegangenen Workshops gehörten zu den Sternstunden unter den 53° NORD-Veranstaltungen: Selten sprang der Funke schneller über, öffneten sich die Teilnehmer mehr. Selten entstanden in nur zwei Tagen herzlichere Kontakte, gingen die Teilnehmer begeisterter und motivierter nach Hause als bei diesem Seminar. Und sie nahmen eine Vielzahl von Ideen und Anregungen mit: Zum Handlungsaufbau, zur Regie- und Figurenarbeit und zu den Methoden der Schauspielausbildung.
Dieser dritte Workshop unterscheidet sich von seinen beiden Vorgängern dadurch, dass er integrativ angelegt ist: Menschen mit und ohne Behinderung erarbeiten die Inhalte gemeinsam. Die Anleitung übernehmen wieder Stefan Merk, Leiter des Theaters Augenblick sowie Walter Koch, unter anderem Mitbegründer des Blaumeier-Ateliers in Bremen und Motor der Veranstaltungsreihe Dox-City. Beide sind ausgewiesene Praktiker und stellen nicht die Theorie in den Mittelpunkt, sondern das Spiel, das Ausprobieren und den Spaß an der Sache. Die Teilnehmer erleben hautnah, dass das Credo von Walter Koch der Realität entspricht. Es lautet: "Theaterspiel regt nachhaltig die individuelle und persönliche Entwicklung an. Es schult die Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung anderer, erweitert das Verhaltensrepertoire und stärkt Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen." Im Fokus steht bei beiden der künstlerische Ansatz, denn die Kunst kennt keine Behinderung. Das Treffen vermittelt Handwerkszeug für die Theaterarbeit und ermöglicht einen offenen Austausch über die Praxiserfahrungen der Teilnehmer. Die Teilnahme an den vorhergehenden Workshop ist keine Voraussetzung.
Am Beginn des Workshops steht am Freitagabend eine Aufführung des Theaters Augenblick. Sie präsentieren ihr Erfolgsstück "Gebrochenes Eis". Grundlage für dieses Stück waren die Erzählungen und Erlebnisse der Schauspielerin Anna Weisgerber. Sie verbrachte die ersten 26 Jahre ihres Lebens in Kirgisistan und war danach über 20 Jahren nicht mehr dort. Als das Ensemble versuchte, über ihre ereignisreiche Kindheit und Jugend ein Stück zu inszenieren, wurde schnell klar, dass dies nur geht, wenn Anna tatsächlich zurückkehren und ihre Erlebnisse verarbeiten konnte. Das Team flog mit Anna Weisgerber für eine Woche in ihre alte Heimat zurück, ging an die Plätze, wo sie früher wohnte, besuchten die Behinderteneinrichtung, in der sie als Kind viele Jahre fern von ihrer Familie verbracht hatte, trauerte mit ihr an den Gräbern ihrer Brüder und Großeltern. Auf der Grundlage von authentischen Erlebnissen und mitgebrachten Filmaufnahmen aus Kirgisistan entwickelten die Schauspieler gemeinsam die frei erzählte Geschichte "Gebrochenes Eis". Die Main Post resümierte nach der Uraufführung: "Ein spannendes Stück mit autobiografischem Ausgangspunkt … feierte eine umjubelte Premiere … mit dem Stück Gebrochenes Eis gelang dem Ensemble vom Theater Augenblick ein wundervolles, rührend skurriles Agentenmärchen".