Allrounder der Inklusion
Zum Abschied von Martin Berg und dem Wechsel an der Spitze der BAG WfbM
Martin Berg (Quelle: Ben Knabe, BAG WfbM)
Unermüdlich hat er Leistung und Wandel von Werkstätten vorangetrieben, ihnen Anerkennung verschafft und sie bei aller Vielfalt in zentralen Fragen geeint: Nach zwölf Jahren als Vorstandsvorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) hört Martin Berg auf. Zu seiner Nachfolgerin wurde die bisherige stellvertretende Vorsitzende Andrea Stratmann gewählt. In seiner Ära an der Spitze der bundesweiten Fachorganisation der Werkstattträger hat Berg viel bewegt. Abschied von einem Streiter für eine inklusive Arbeitswelt.
In seinen Jahren als Vorsitzender der BAG WfbM hat Martin Berg beharrlich für Werkstätten und ihre unersetzliche Bedeutung für den Einzelnen und die gesamte Gesellschaft geworben. Stets betonte der hochgewachsene Hesse dabei, wie viel Arbeit noch zu leisten sei und wie viele Hürden auch in den Köpfen es noch zu überwinden gelte, um die angestrebte "Kultur des Miteinanders" auch tatsächlich flächendeckend zu verwirklichen. Wichtigstes Anliegen seiner ehrenamtlichen Arbeit für die aktuell rund 700 Werkstätten unter dem Dach der BAG WfbM Deutschland war ihm immer, die vielfältigen Einschränkungen von Menschen mit Behinderung so gut als möglich auszugleichen. Beharrlich stellte er klar: Das sei keine Privilegierung und "Werkstätten erfüllen keinen Selbstzweck, sondern sind ein Nachteilsausgleich".
Dass sich Werkstätten unter seiner Ägide verändert haben und auch weiterhin ändern müssen, ist für Berg unstrittig. Die seit Jahren heiß diskutierte, überfällige Entgelt-Reform etwa ist ein großer Brocken, den er Andrea Stratmann hinterlässt. Aber immer wieder hat Berg verdeutlicht: So lange der allgemeine Arbeitsmarkt in seiner jetzigen Form keine ausreichenden Alternativen und Strukturen biete, um alle Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, also kurzum nicht dazu in der Lage sei, ihnen angemessene Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, blieben Werkstätten unverzichtbar.
Berg, 1961 in Bad Soden-Salmünster geboren, absolvierte nach seiner Ausbildung als Industriekaufmann ein berufsbegleitendes Studium zum Industriefachwirt. Dass er seine berufliche Laufbahn bei einem Automobilzulieferer begann und für Unternehmensorganisation und die Neuorganisation von Unternehmensabläufen zuständig war, hat ihm gewiss bei seinem späteren Wirken geholfen. Denn auch das von ihm im Understatement gern als "relativ komplex" beschriebene soziale System braucht den logistisch-strukturellen Überblick bei grundlegenden Reformen ebenso wie Sinn für Detailfragen, wenn beispielsweise Innovationen im operativen Bereich gefragt sind. So oder so gelte immer: "Es geht nicht um einfache und schnelle Lösungen."
Schon 1992 wurde Berg Mitglied der Lebenshilfe-Vereins für Menschen mit Behinderung im Kreis Schlüchtern, drei Jahre später Vorstandsvorsitzender bzw. Geschäftsführer des Behinderten-Werks Main-Kinzig e.V., heute BWMK gGmbH mit Sitz in Gelnhausen. Zudem leitet er zwei Inklusionsfirmen der BWMK-Gruppe: "Heinzelmännchen", eine Wäscheservice & Hausdienstleistungsgesellschaft mbH, und die "M & S" Markt- Servicegesellschaft mbH und Westpark GmbH.
In der bundesweiten Interessenvertretung der Werk- und Förderstätten sowie der Inklusionsbetriebe wiederum hatte sich Berg schon drei Jahre lang im Vorstand engagiert, bevor er vor zwölf Jahren zum Vorstandsvorsitzenden der BAG WfbM gewählt wurde – vor zwei Jahren wechselte deren Sitz von Frankfurt nach Berlin. Berg hat die maximale Anzahl von Amtszeiten als Vorstandsvorsitzender erreicht, Andrea Stratmann wurde am 28. November zu seiner Nachfolgerin gewählt. Die Geschäftsführerin der Gemeinnützige Werk- und Wohnstätten GmbH in Gärtringen gehört dem Gremium bereits seit 2016 als stellvertretende Vorsitzende an.
Für sein Credo, dass "Inklusion keine Illusion" sei und berufliche Teilhabe, Qualifikation, Bildung und Miteinander im vielgestaltigen Werkstätten-Netzwerk weitaus mehr als nur einen Job böten, hat Berg oft dicke Bretter bohren müssen. Ob auch als Aufsichtsratsvorsitzender der Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen Mitte eG (gdw), der Landesarbeitsgemeinschaft WfbM Hessen oder als Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Inklusionsbetriebe Hessen e.V.: Martin Berg hat sich in all seinen Funktionen und auf allen Ebenen dafür eingesetzt, die Lage der Werkstätten, ihrer bundesweit mehr als 310.000 Beschäftigten und rund 70.000 Fachkräfte kontinuierlich zu verbessern. Ein Macher, Ermöglicher und Allrounder der Inklusion.
Auch wenn in den vergangenen Jahren die rechtliche Situation von Menschen mit Einschränkungen etwa durch die UN-Behindertenkonvention oder durch das hart erkämpfte Bundesteilhabegesetz "glücklicherweise gestärkt worden ist", wie Berg befindet, gebe es auf dem Weg zu einer selbstverständlich inklusiven Arbeitswelt immer noch sehr viel zu tun. Das fange bei Barrierefreiheit an. In einem Interview erklärte er dazu: "Damit meine ich nicht nur Rolli-Rampen und abgesenkte Bordsteine, sondern vor allem auch Barrierefreiheit im Denken und in der Kommunikation." Es gelte, immer dort aktiv zu werden, "wo Nachteilsausgleiche zu schaffen sind und Menschen mit Behinderungen Unterstützung brauchen."
Menschen individuell zu unterstützen und ihnen in Sozialunternehmen und Werkstätten als Partner am Arbeitsmarkt vielfältige Optionen zu schaffen, "damit sie an Bildung, Arbeit, Sport, Kultur und allen weiteren Bereichen der Gesellschaft teilhaben können", das war und ist Bergs wesentlicher Antrieb. "Es ist einfach so, dass Menschen, die in der Werkstatt sind, in der Regel keinen Schulabschluss oder oftmals schwierige Situationen haben." Diesen Nachteil auszugleichen, das stünde ihnen einfach zu und sei noch besser zu organisieren. Und: "Dazu brauchen wir gesellschaftlich ein anderes Verständnis."
Der Mensch im Fokus, das gelte auch in Werkstätten mehr als die Arbeitsleistung. Aber auch wenn Werkstattbeschäftigte neben dem Entgelt in der Regel noch weitere Leistungen erhielten und somit mehr Geld zur Verfügung hätten, als häufig in Diskussionen dargestellt werde, ändere das nichts an der überfälligen Reform des Entgeltsystems. Berg ist überzeugt davon, "dass das Einkommen der Werkstattbeschäftigten nicht ausreichend ist". Es müsse die Wertschätzung der Arbeit, die die Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten leisten, "ebenso reflektieren als auch die Menschen aus der Grundsicherung herausbringen und ihnen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen, als es derzeit für sie möglich ist". Unstrittig sei: "Wenn jemand arbeitet, dann soll er oder sie dafür auch einen auskömmlichen Lohn erhalten."
Auch diese Reform brauche wie jede Veränderung einen langen Atem und sei in ihrer komplexen Gesamtheit zu betrachten. Um das Entgelt grundlegend mit einem neuen, auskömmlichen, transparenten und nachhaltigen System zu verbessern, verböten sich schnelle Reflexe. Eine Herkulesaufgabe, für die alle von den Werkstätten bis hin zur Steuerungsgruppe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, in der auch die BAG WfbM vertreten ist, noch viel Arbeit vor sich hätten. Aber in seiner Ära als BWMK-Vorsitzender hat Berg mehrfach bewiesen: Mit Beharrlichkeit und Geduld findet sich immer eine Option, um noch bessere Optionen für berufliche Teilhabe von Menschen zu schaffen, "die über das hinausgehen, was wir heute schon kennen".
Zurück zur Artikelübersicht