Der neue BMAS-Aktionsplan zur Weiterentwicklung von WfbM
Eine erste Einschätzung von Dr. Jochen Walter Vorstand Stiftung Pfennigparade, stellv. Vorsitzender BAG WfbM
Dr. Jochen Walter
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung von Werkstätten in keiner beneidenswerten Lage: Die durchaus weitreichenden Forderungen des UN-Fachausschusses anlässlich der jüngsten Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-BRK in Deutschland müssen berücksichtigt werden. Zugleich gilt es, die beteiligten Akteure „mitzunehmen“ und historisch gewachsene Strukturen, da wo sie sich bewährt haben, nicht abzuräumen. Und angesichts der mittlerweile sehr engen finanziellen Spielräume müssen wohl auch die Erwartungen an eine vor einiger Zeit angekündigte "Werkstattreform" mit dem Kernstück einer deutlich verbesserten Einkommenssituation der Werkstattbeschäftigten erheblich gedämpft werden.
Vor diesem Hintergrund ist die Fortsetzung des Dialogprozesses zur Weiterentwicklung von Werkstätten mit Vorlage eines "Aktionsplans" als Klammer für kurz-, mittel- und langfristige Initiativen und Gesetzesvorhaben sicherlich politisch klug und zielführend.
Was fällt auf den ersten Blick auf?
Erstens scheint die Meinungsbildung im BMAS zur weiteren Entwicklung der Entgelte für die Werkstattbeschäftigten noch nicht abgeschlossen zu sein, denn laut Aktionsplan sollen die Gespräche hierzu fortgesetzt werden. Es bleibt zu hoffen (und weiterhin zu fordern), dass es wirklich zu einer deutlichen Verbesserung der Einkommenssituation für die Beschäftigten mit einer möglichst transparenten Entgeltsystematik kommt.
Zweitens enttäuschen die Aussagen zur Teilhabe von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Während das BMAS hierzu vor kurzem noch von der Beauftragung einer Studie und der Förderung von Modellprojekten sprach, geht es jetzt nur noch um die Aufbereitung "weiterer Informationen zu diesem Personenkreis […] bevor neue Handlungsansätze entwickelt, erprobt und umgesetzt werden." Hier scheint mir die fachliche Debatte zur Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten dieser Personen schon deutlich weiter vorangeschritten und ich hätte mir von einem "Aktionsplan" mehr erwartet als die statistische Auswertung bereits erhobener Daten.
Drittens soll auch der Dialogprozess zur weiteren Entwicklung der beruflichen Bildung für Werkstattbeschäftigte fortgesetzt werden. Von seinen ersten Vorschlägen zur Ausgliederung und Ausschreibung des Berufsbildungsbereichs nach den Regeln des Vergaberechts ist das BMAS abgerückt; diese Vorschläge waren hinsichtlich ihrer Folgen nicht "zu Ende gedacht".
Auch noch nicht "zu Ende gedacht" scheint mir viertens der Vorschlag, dass die Anrechnung der Ausgleichsabgabe auf Werkstattaufträge entfallen soll. Diese Initiative kommt überraschend, da es aktuell keine solide Datenlage zu den mit diesem Vorschlag beabsichtigten Anreizwirkungen gibt.
Ab 20 Mitarbeitenden sind Betriebe eigentlich dazu verpflichtet, Menschen mit schwerer Behinderung einzustellen – mindestens 5% der Gesamtbelegschaft. Machen sie das nicht, wird eine monatliche Ausgleichsabgabe fällig. So fallen für Firmen mit bis zu 60 Mitarbeiter*innen maximal 245 Euro monatlich pro fehlender „Inklusionsstelle“ an. Für größere Unternehmen sind es bis zu 360 Euro. Sind gar keine Menschen mit schwerer Behinderung angestellt, liegt die Summe seit diesem Jahr bei 720 Euro pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz. Aufträge an anerkannte WfbM können teilweise auf diese "Strafzahlungen" angerechnet werden. Dies soll den strukturellen Wettbewerbsnachteil von Werkstätten gegenüber Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts ausgleichen.
Nach meiner Erfahrung ist gerade bei vielen großen Unternehmen (bspw. in der Automobilindustrie) die Stammbelegschaft – insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten – im Schnitt gemeinsam "älter und behinderter" geworden, so dass die 5% erreicht sind, auch wenn keine größere Zahl an schwerbehinderten Mitarbeitenden zusätzlich eingestellt wurde. Hier würde der Wegfall der Anrechnung wohl wenig bewirken.
Anders bei den kleinen und mittleren Unternehmen: hier liegen noch viele unter der vorgeschriebenen Quote und es ist fraglich (weil nicht hinreichend erforscht), ob die bisher bestehende Anrechnung der Ausgleichsabgabe auf Werkstattaufträge tatsächlich die Neueinstellung von Werkstattbeschäftigten oder anderen schwerbehinderten Personen gebremst hat. Im schlechtesten Falle kämen auch nach Anrechnungswegfall die erwünschten Neu-Einstellungen nicht voran und zugleich verlören viele Werkstattbeschäftigte Teile der für ihre Teilhabe so wichtigen Arbeitsaufträge. In diesem Zuge würde vermutlich das Arbeitsergebnis der Werkstätten sinken und damit auch die Entlohnung der Beschäftigten – zumindest im herkömmlichen System. Also: das bisherige System der Werkstattentgelte zu belassen, die Entgelte nur geringfügig zu erhöhen und zugleich durch den Wegfall der Anrechnung der Ausgleichsabgabe wiederum zur Absenkung der Entlohnung beizutragen, wäre nicht "im Sinne des Erfinders".
Andererseits ist der bisherige Zustand – 2022 besetzten nur 39,5% der betroffenen Arbeitgeber alle Pflichtarbeitsplätze bzw. 296.801 Pflichtarbeitsplätze insgesamt waren unbesetzt – alles andere als befriedigend. Hier bräuchte es aus meiner Sicht eine deutlich breiter angelegte Initiative im Sinne eines wirksamen Beitrags zur weiteren Umsetzung der UN-BRK.
Fünftens sind die weiteren Vorschläge zur Förderung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt aus meiner Sicht großenteils zielführend. So kann die Ausweitung der Nachteilsausgleiche bei den rentenrechtlichen Regelungen für alle Personen, die mit einem Budget für Arbeit sozialversicherungspflichtig tätig sind, Hemmnissen bei Übergängen von Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt entgegenwirken.
Auch die vorgesehene stärkere Unterstützung der Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) im Zusammenhang mit dem Budget für Arbeit ist zu begrüßen.
Dass externe Fachdienste stärker in die Übergangsbegleitung von ausgelagerten Arbeitsplätzen einer WfbM in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse eingebunden werden sollen, leuchtet ebenfalls ein. Allerdings sehe ich hier auch die Werkstätten selbst mit ihrer besonderen Expertise noch stärker in der Verantwortung, möglicherweise bei verbesserten Rahmenbedingungen. Hier sollte der Gesetzgeber nichts "verschenken", sondern die Werkstätten ebenfalls entsprechend ertüchtigen.
An dem Postulat "Potentiale in der Zusammenarbeit zwischen Leistungsträgern und WfbM ausschöpfen, um sämtliche Aktivitäten an dem Ziel der Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auszurichten (im Wege z. B. von Zielvereinbarungen zu ausgelagerten Arbeitsplätzen und der Vereinbarung von Übergangsquoten und besserer Nutzung des Gesamtplanverfahrens)" stört mich das Wörtchen "sämtliche", denn die Reduzierung der Aufgaben von Werkstätten auf das einzige Ziel der Übergänge auf den Arbeitsmarkt entspricht weder dem gesetzlichen Auftrag noch den Wünschen und Bedarfen sehr vieler Werkstattbeschäftigter. Andererseits ist aus meiner Sicht eine weitere Verstärkung derartiger Aktivitäten in jedem Fall geboten, um mehr Menschen Übergänge zu ermöglichen. Und hier müssen wir als Werkstätten konstruktiv mitwirken und auch diesen Aspekt der UN-BRK sowie der Ergebnisse der Staatenprüfung mit umsetzen.
Dr. Jochen Walter ist Vorstand Stiftung Pfennigparade und stellv. Vorsitzender BAG WfbM
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