„SPZ- und gFAB-Ausbildung sind nicht auf Jobcoachs zugeschnitten.“
Kursleiterin Benina Ahrend zur Basisqualifizierung für Jobcoachs bei 53° NORD
Als diplomierte Kauffrau war Benina Ahrend zehn Jahre lang im Vertrieb, in der Disposition und in der Personalentwicklung von Unternehmen tätig.1999 machte sie sich nach entsprechender Qualifikation als Seminarleiterin und systemisch-psychologischer Coach selbständig und begleitet seither Prozesse unterschiedlicher Art. Sie arbeitet mit Existenzgründern, Freiberuflerinnen, Führungskräften, Inhaberinnen von Kreativbüros und Mitarbeiterinnen aus Werkstätten, ist Seminarleiterin und Moderatorin. 2015 konzipierte sie mit 53° NORD die Basisqualifikation Jobcoach, die sie seither leitet.
Wir fragten sie, warum eine solche Fortbildung notwendig ist, welche Inhalte sie hat und wie die Erfahrungen sind.
Frau Ahrend, was unterscheidet die Tätigkeit eines Jobcoachs von der eines FAB in der Werkstatt?
Die Fachkräfte in der Werkstatt sind für die Anleitung und Förderung der Beschäftigten zuständig und mitverantwortlich für die Produktionsergebnisse der Werkstatt. Jobcoachs sind nur mit einem Teil ihrer Tätigkeit Anleitende. Zunächst begleiten sie coachend die Klienten dabei, ihre beruflichen Ziele zu finden, dann sind sie vor allem Vermittler und Dolmetscher zwischen Klient, Werkstatt und Betrieb. Direkte Produktionsverantwortung haben sie nicht. Die SPZ- oder FAB-Ausbildung, die Gruppenleiter in der Werkstatt durchlaufen, ist nicht passgenau auf die Tätigkeit von Jobcoachs zugeschnitten.
Was hat Sie 2015 bewogen, die Basisqualifizierung zu entwickeln?
Meine Kollegin Ulrike Martzinek und ich hatten damals schon zehn Jahre lang Integrationsbegleiter aus Werkstätten auf die Stellen-Akquise in Unternehmen vorbereitet. Dabei wurde uns klar, dass in der Werkstattlandschaft ein unterschiedliches Verständnis der Aufgaben und Vorgehensweisen von Jobcoachs bestand. Wir kannten dieses Phänomen vom Berufsbild des Coachings, das ja ungeschützt ist. Hier wie dort war es wünschenswert, über dasselbe zu sprechen, wenn man bestimmte Begriffe verwendet. Es braucht ein bestimmtes Maß an Standardisierung, ein vernünftiges gemeinsames, professionelles Fundament. Mit der Basisqualifikation wollten wir dazu einen Beitrag leisten.
Worin besteht für Sie dieses gemeinsame Fundament?
Die Bewusstheit, dass ein Jobcoach oder Integrationsbegleiter in der Verantwortung steht, den Klienten bei seiner eigenen Entscheidung zu unterstützen. Das erfordert die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Ein Jobcoach sollte seine Anteile von denen des Klienten trennen, darf seine Vorstellungen nicht auf ihn übertragen oder ihm – unbewusst – überstülpen. Ziel der Basisqualifizierung ist es unter anderem, sich dieser Anteile bewusster zu werden, sich selbst auf die Spur zu kommen und seine eigenen Vorstellungen hintanzustellen.
Ist das so viel anders als in der Werkstatt?
Außerhalb von Werkstatt lassen sich sowohl in der Tiefe als auch in der Breite wesentlich vielfältiger Tätigkeiten ausprobieren. Erst durch Praktika und ausgelagerte Arbeit können die Klienten selbstbestimmt erfahren und entscheiden, was berufliche Teilhabe für sie bedeutet und welche Form ihnen liegt. Das erfordert vom Jobcoach Geduld und die Bereitschaft, in der Schrittlänge des Klienten zu gehen. Eine FAB kann das nur bedingt mitgehen, da sie auch für die termingerechte Abwicklung der Produktionsaufträge verantwortlich ist. Ein hinreichend oft beschriebener Spagat!
Mit welchem Hintergrund kommen die Teilnehmer in die Kurse?
Viele kommen aus der Werkstatt, waren vorher FABs und wechseln jetzt in die Rolle von Jobcoachs. Andere wurden gerade neu für diesen Bereich eingestellt. Sie alle müssen sich auf die neue Situation und die neuen Aufgaben einstellen. Wie kann ich diese Aufgabe ausfüllen? Was ist anders als vorher? Was brauche ich?
Erfüllt der Kurs diese Erwartungen? Wie sind die Rückmeldung?
Die Kurse sind immer sehr lebendig. Es sind Veranstaltungen, in denen Teilnehmende aus diversen Werkstätten aus allen Regionen Deutschlands aufeinandertreffen. Die Teilnehmer können sich selber einbringen, es gibt wenig frontale Anteile. Sie haben Lust in diesem konstruktiven Rahmen sehr offen miteinander zu arbeiten. Da gibt es unterschiedliche und überraschende Lösungen für die gleichen Probleme, viel Austausch und Voneinander lernen. Eine typische Rückmeldung ist am Schluss: „Die Zeit verging wie im Flug.“
Wie umfangreich ist die Qualifizierung?
Sie besteht aus drei Teilen à 4 Tage zwischen Mai und November.
Was sind die Inhalte?
Im ersten Teil liegt der Fokus auf dem Betrieb. Was unterscheidet ihn vom System Werkstatt? Es geht um ungeschriebene Codes, um Kommunikation, um Akquisition. Wie findet man den Zugang? Wie verhalte ich mich als Jobcoach im Betrieb? Was sind die Erwartungen des Betriebs an den Beschäftigten und an den Jobcoach? Der zweite Teil legt den Fokus auf den Beschäftigten und seine Begleitung. Vom Kennenlernen über das gemeinsame Entdecken und Entwickeln von Stärken und Fähigkeiten, die Übernahme von Aufgaben im Betrieb, die Anleitung und Einbindung ins Team bis hin zur Verselbständigung und evt. zu einer Festanstellung. Im dritten Teil geht es um das Selbstverständnis als Jobcoach, um die eigene Rolle, die Haltung, die Werte, um den eigenen Standpunkt zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung. Und um das Bewusstsein davon, was in meiner Verantwortung liegt und wo die Grenzen meiner Verantwortung sind.
Wer sind Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Basisqualifikation?
Das sind Praktiker aus Werkstätten, die über große Integrationsabteilungen und viel Praxiserfahrung verfügen. Sie kommen aus den Pirnaer Werkstätten der AWO Sonnenstein und aus den Iserlohner Werkstätten. Sie bestreiten den zweiten Kursteil, bei dem es um den Beschäftigten und seine Anleitung geht. Ende des ersten Teils haben wir einen Tag für den rechtlichen Rahmen eingeplant. Da geht es um Fragen wie Verträge, Haftung oder Arbeitssicherheit. Das übernimmt ein Kollege von alsterarbeit in Hamburg.
Man kann, wenn man möchte, die Qualifizierung mit einem spezifischen Zertifikat beenden. Was sind dafür die Voraussetzungen?
Wer sich dafür entscheidet, verfasst eine schriftliche Ausarbeitung über ein Thema seiner Jobcoach-Tätigkeit, in der Regel über den Verlauf einer Vermittlung und reflektiert dabei sein eigenes Vorgehen und den Umgang mit auftretenden Problemen. Diese Arbeit hat einen Umfang von 8-12 Seiten. Um Schluss steht ein Kolloquium mit einer Prüfungskommission, wo er diese Arbeit vorstellt und diskutiert und dann erhält er ein individuelles Zertifikat.
Ist dies ein anerkannter Abschluss?
Nein, dies ist eine private Fortbildung. Wir arbeiten aber an einer Akkreditierung.
Wie unterscheidet sich diese Basisqualifikation von anderen Angeboten?
Meines Wissens gibt es derzeit nur zwei vergleichbare Kurse zur Qualifizierung von Jobcoachs. Die der Bundesarbeitsgemeinschaft Unterstützte Beschäftigung (BAG UB) und die des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL). Beim LWL liegt der Fokus nicht in der Erstvermittlung von Beschäftigten, sondern im Erhalt von Arbeitsverhältnissen schwerbehinderter Arbeitnehmer, die von Kündigung bedroht sind, also um die Fälle, in denen die Integrationsämter tätig werden. Die BAG UB qualifiziert Mitarbeiter der Integrationsfachdienste und zum Teil auch Jobcoachs aus der Werkstatt. Diese Fortbildung ist umfangreicher, aber auch deutlich teurer als unsere. Wir sind auf die Besonderheiten des Übergangs aus Werkstätten spezialisiert, der im Dreieck Klient – Werkstatt – Betrieb eigenen Bedingungen unterliegt. Nach meiner Beobachtung sind die drei Angebote von einem ähnlichen Geist und von gleichen Menschenbild getragen, der Fokus ist aber unterschiedlich.
Gewinnt die betriebsintegrierte Form der Werkstattarbeit an Bedeutung?
Eindeutig. Ich bin jetzt 15 Jahre lang in der Beratung und Fortbildung für Werkstätten tätig. Am Anfang fühlten sich diejenigen, die für Stellen-Akquise in Betrieben zuständig waren, noch als Bittsteller. Heute höre ich immer häufiger, das sei nicht mehr das Problem: „Wir haben mehr Stellen, als wir besetzen können.“ Das hat sicher auch mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, in der der Inklusionsgedanke stärker Fuß fasst. Damit ändern sich auch Werkstätten, Arbeit muss nicht mehr in Werkstattgebäuden stattfinden, die Unterstützung kann auch in Betrieben erfolgen. Das stärkt die Beschäftigten. Sie können sich ausprobieren und haben die freie Wahl des Berufswegs.
Macht das die Werkstätten auf Dauer überflüssig?
Nein, der geschützte Raum der Werkstatt wird immer zu den Angeboten der beruflichen Teilhabe gehören und es wird auch immer Menschen geben, die diese Wahlmöglichkeit nutzen.
Weitere Informationen zur Basisqualifizierung für Jobcoachs
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