Teilhabe am Arbeitsleben erfordert Mitbestimmung bei der Gestaltung
Darf man als Autor, der man selber gerade 70 geworden ist, einen Beitrag schreiben zu einem Thema, das auch seit etwa 70 Jahren – und etwas mehr – Menschen und eine Gesellschaft bewegt? In diesem Fall vor allem Menschen, die sich mit den Arbeitsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung befassen? Konkret geht es im folgenden Beitrag um den Versuch, unterschiedliche Sichtweisen rund um Werkstätten für behinderte Menschen darzustellen und sich dabei mit der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderung »Inklusion« zu befassen und zu positionieren. Ich traue mich, hier als Autor aktiv zu werden, da ich mich selbst mit dieser Thematik zumindest schon seit über 40 Jahren beschäftige: wissenschaftlich, praxisnah und im Rahmen der Qualifizierung von Werkstatträten.
Perspektive für und von Menschen mit Behinderung
Werkstätten für behinderte Menschen haben eine lange Tradition. Zu dieser Thematik gibt es eine Reihe von Fachbüchern und -beiträgen, die mit unterschiedlicher Gewichtung allgemeine Aspekte aufgreifen oder auch spezielle Themen oder Personengruppen beschreiben. Die zunehmende und teilweise mehr und mehr ideologisch geführte Auseinandersetzung über das Thema Inklusion bringt es mit sich, dass Werkstätten mehr und mehr unter Druck geraten. Aus ganz unterschiedlichen Positionen heraus und mit sehr unterschiedlicher Fachlichkeit bzw. Argumentation werden Werkstätten in den letzten Jahren beurteilt und dabei besonders auch am Maßstab Inklusion gemessen. Und scheinbar schneiden WfbM dabei schlecht ab. Aus meiner Sicht hat sich dabei eine Diskussionskultur intensiviert, die sich teilweise sehr tendenziell darstellt. Sie verläuft in eine Richtung, die immer wieder auch normativ aufgeladen, praxisfern oder wenig objektiv zu sein scheint und dabei von Einseitigkeiten geprägt ist.
So erscheint es erforderlich, die vorhandene Vielfalt der Perspektiven aufzuzeigen und in den Austausch mit Akteurinnen und Akteuren der bestehenden Praxis zu gehen. Denn - und so formuliert es Lulzim Lushtaku, Vorsitzender von Werkstatträte Deutschland - »es ist schwierig auszuhalten, dass andere darüber urteilen, wie Werkstatt grundsätzlich ist, und zu wissen glauben, wie Werkstattbeschäftigte fühlen« (2023, 312). Vielmehr könnte und sollte der Blick auf unterschiedliche Positionen dabei helfen, die von Heinrich Greving und Ulrich Scheibner in ihrem Buch getroffene Feststellung »Werkstätten für behinderte Menschen. Sonderwelt und Subkultur behindern Inklusion« kritisch zu reflektieren.
Anstoß und Anspruch
Das 2021 erschienene Buch »Werkstätten für behinderte Menschen – Sonderwelt und Subkultur behindern Inklusion« gab einen wichtigen Anstoß für die Entstehung eines weiteren aktuellen Buches zur Thematik Werkstätten. Das gerade erschienene und von mir gemeinsam mit Viviane Schachler und Roland Weber herausgegebene Buch »Zukunft der Werkstätten« will einen Beitrag dazu leisten, Entwicklungen zurückliegender Jahre rund um die WfbM mit Perspektiven der Werkstätten und der in Werkstätten arbeitenden Beschäftigten zu verknüpfen.
Wichtig ist dabei zeitgemäße Impulse, die aus der UN-Behindertenrechtskonvention resultieren, aufzugreifen und mit der Betrachtung der bundesdeutschen Situation in eine Weiterentwicklung zu führen. Wesentlich ist allerdings auch, dass die in Werkstätten arbeitenden Beschäftigten einbezogen werden. Diesen Anspruch verfolgt das neue Buch, in dem Betroffene als Beschäftigte der Werkstätten mit ihren Meinungen und Erfahrungen beteiligt sind.
Aus Bastelstuben werden Sozialunternehmen
Die »Sonderarbeitswelt« für Menschen mit Behinderung hat seit ihren Anfängen in den 1950er Jahren Entwicklungen vollzogen, die aus anfänglichen »Werk- und Bastelstuben« zu »Beschützenden Werkstätten« und schließlich zur »Werkstatt für Behinderte« geführt haben. Die Verabschiedung des Sozialgesetzbuches IX im Jahr 2001 benannte diese WfB schließlich um in die »Werkstatt für behinderte Menschen« – eine Bezeichnung, die auch heute noch gilt, die aber längst nicht unumstritten ist. Wird doch dieser Entscheidung von 2001 unter anderem immer wieder vorgeworfen, dass die eigentliche Bedeutung, dass nämlich der Mensch mit Behinderung im Vordergrund steht, bei der Namensfindung nicht konsequent umgesetzt wurde. Eine solche Anmerkung darf aber nicht übergehen und übersehen, dass in den insgesamt über 70 Jahren durch neue Konzepte und Instrumentarien Weiterentwicklungen möglich wurden, in denen sich Sichtweisen – auch im rechtlichen Sinne – deutlich positiv verändert haben.
Durch das Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland (2009) ist besonders der Aspekt der Inklusion in den Vordergrund gerückt. Dies mündet darin, dass der zuständige UN-Fachausschuss in den »abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands« bereits 2015 die Bundesrepublik auffordert, das bestehende Werkstätten-System abzuschaffen. Dies war und ist bis heute politisch (noch) nicht gewollt ist. So spricht der Nationale Aktionsplan 2.0 des BMAS (2016) in diesem Zusammenhang davon, »dass Werkstätten für behinderte Menschen als Anbieter von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben weiterhin ihren Platz haben«.
Demgegenüber vertritt die von der Bundesregierung eingesetzte Monitoring-Stelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte als unabhängige und überparteiliche Stelle eine andere Position. Zwar unterstreicht sie, dass der vorgelegte NAP 2.0 der Bundesregierung »in konzeptioneller Hinsicht ein Quantensprung« ist, bezogen auf das Thema Werkstätten verdeutlicht die Monitoring-Stelle in ihrem Kommentar zum NAP 2.0, dass eine »solche Förderung von Werkstätten [...] bedenklich (ist) und [...] nicht als Maßnahme zur Umsetzung der UN-BRK oder der Abschließenden Bemerkungen des UN-Fachausschusses gelten (kann)«.
Die Konvention schafft insgesamt eine normative Orientierung und (menschen-)rechtliche Basis für das Thema Behinderung im gesellschaftlichen Kontext – und dies gilt neben vielen anderen Lebensbereichen auch für die Arbeitswelt. Die Abschaffungsdiskussion der Werkstätten ist eine normative, teilweise emotional geführte Debatte. Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten arbeiten oder gearbeitet haben, kommen hierbei kaum zu Wort bzw. werden nur als Einzelmeinungen eingebracht. Diese Stimmen gilt es jedoch vor dem normativen Anspruch der UN-BRK »Nichts über uns ohne uns« zu beachten. So sind gerade die Akzeptanz der Expertenschaft von Menschen mit Behinderung in eigener Sache, die Begegnung auf Augenhöhe und ein gemeinsames Miteinander zentrale Prinzipien, mit denen Inklusion beginnt.
Das Buch Zukunft der Werkstätten können Sie hier bestellen.
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