Werkstätten alleine können Inklusion nicht machen!
Anmerkung zum Interview mit dem LWL-Sozialdezernenten Johannes Chudziak
Dieter Debus, Frankfurt am Main
Kein vernunftbegabter und an Humanität orientierter Mensch kann an dem Ziel eines Inklusiven Arbeitsmarktes Zweifel haben. (Dass in Sommerinterviews Politiker aus dem rechten Spektrum die Inklusion angreifen, widerspricht dieser Aussage nicht.) Dieses Ziel ist anspruchsvoll. Herr Chudziak weist selbst darauf hin, dass es seinem Integrationsamt nicht gelingt, zu verhindern, dass die Arbeitslosenquote unter schwerbehinderten Personen doppelt so hoch ist wie die durchschnittliche Arbeitslosigkeit.
Wir reden, wenn wir über Werkstätten für behinderte Menschen sprechen, von Menschen, deren Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich herausfordernd ist. Arbeitsplätze für Menschen mit einer körperlichen oder einer Sinnesbehinderung zu gestalten, ist nachgerade einfach im Vergleich zur Schaffung eines Arbeitsumfeldes, in dem sich Menschen mit einer kognitiven oder mentalen Einschränkung einbringen können, ohne ständige Diskriminierung zu erfahren oder gar zu scheitern. Wer sich die Erkrankungs- und Verrentungsstatistiken der letzten Jahrzehnte anschaut, kann erkennen, dass zum Beispiel Menschen mit eingeschränkter psychischer Belastbarkeit auf eine ausgrenzende Arbeitswelt treffen.
Königsweg Entwicklungszusammenarbeit
Wie kann man unter diesen Bedingungen einem Inklusiven Arbeitsmarkt näherkommen? 53°Nord wird nicht müde von Erfolgen in Hamburg, Bamberg und anderswo zu berichten. Diese Erfolge werden von bzw. mit Leistungserbringern der Eingliederungshilfe erreicht. Steuerungsmittel sind Budgets oder auch Vereinbarungen wie das Hessische Übergangspapier, einer Vereinbarung zwischen dem Leistungsträger und der LAG WfbM, die zu einem ständig wachsenden Anteil von Werkstattbeschäftigten beiträgt, die in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten. Der Königsweg ist hier also Entwicklungszusammenarbeit mit vereinbarten Zielen.
WfbM als funktionierendes System nutzen
Wenig zielführend sind meines Erachtens die meisten Wege, die Herr Chudziak im Interview vorschlägt.
Wichtiges Ziel ist für Herrn Chudziak, die Werkstatt zu vermeiden. Damit vergibt er die Chance, ein in vielen Bereichen funktionierendes System zu nutzen und weiterzuentwickeln. Viele Werkstätten haben sich auf den Weg gemacht und haben die solide Finanzierungsstruktur genutzt, die erlaubt, nicht von Ausschreibung zu Ausschreibung zu hecheln, und die Werkstatt zu einem Labor für gute Entwicklungskonzepte gestaltet. Werkstattbeschäftigte beweisen heute vielerorts, dass sie zu Dingen in der Lage sind, die ihnen früher niemand zugetraut hat. Diese Konzepte auszuwerten und gesteuert zu in die Fläche zu bringen, wäre eine Steuerungsaufgabe für Politik und Verbände. Noch lange ist es nicht selbstverständlich, dass innovative Vorgehensweisen gefördert statt behindert werden.
Betreuungsschlüssel in der Sachbearbeitung
Herr Chudziak ist stolz darauf, die Betreuungsschlüssel in der Sachbearbeitung deutlich verbessert zu haben. Im Bereich der Maßnahmen im SGB II erleben wir quasi jährlich, wie sich die Ressourcen für die Verwaltung der Leistungen zulasten der Leistungen für die Leistungsempfänger steigern. Dies kann kein Modell für die Eingliederungshilfe sein.
Nichts spricht dagegen, den Wechsel aus einer betriebsintegrierten Beschäftigung ins Budget für Arbeit systematischer in den Blick zu nehmen. Dass das für die Personen, die sich für einen solchen Wechsel entscheiden, mit einem Wechsel ihrer Begleitung verbunden ist, ist aus fachlicher Sicht kritisch zu bewerten.
Teilhabe an Arbeit statt Bastelbuden
Dass es eine vernünftige Lösung für die Anforderung an die Werkstätten braucht, wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen um Werkstattlöhne zu finanzieren, steht außer Frage. Diese Lösung darf nicht damit verbunden sein, dass Werkstätten nicht mehr mit ihren Produkten und Dienstleistungen am Markt orientieren. Übungsfirmen mit Bastelangeboten sind eine Demütigung für Menschen, die sich eine Teilhabe am Arbeitsleben wünschen. Echte Teilhabe am Arbeitsleben ist immer auch soziale Teilhabe.
Bitter wird es, wenn Herr Chudziak auf die vermeintlichen Fehlanreize zu sprechen kommt, die aus den Rentenreglungen im Werkstättenbereich resultieren. Herr Chudziak scheint das Bild zu haben, dass es ein klein wenig mehr Not und Mangel braucht, um Werkstattbeschäftigte aus der Komfortzone Werkstatt herauszulocken. Not und Mangel kennen kognitiv und mental behinderte Menschen im Überfluss, ein Leben mit einer solchen Behinderung ist keinesfalls eine Komfortzone. Diese Not vergrößern zu wollen, ist zynisch. Wer die Arbeit in Werkstätten aus der Praxis kennt, weiß, dass die übergroße Mehrheit der Werkstattbeschäftigten gerne und engagiert arbeitet und sich ein größeres Maß an gesellschaftlicher Teilhabe wünscht.
Leistungsdruck als wesentliches Thema
Auf die Frage von 53° NORD: »Die Werkstatt böte alles, was den ersten Arbeitsmarkt attraktiv macht, nur ohne Leistungsdruck.« antwortet Herr Chudziak: »Genau, das ist die Befürchtung, die ich habe und die auch in anderen Bundesländern und in der BAGüS geteilt wird. Die Werkstätten müssen ihr Reha-Geschäft betreiben und man sollte nicht versuchen, das Beste aus allen Welten in der Werkstatt zu konzentrieren.« Offensichtlich kann Herr Chudziak nicht erkennen, dass Werkstätten, indem sie »das Beste aus allen Welten in der Werkstatt konzentrieren« ein Ort sind, an dem behinderte Menschen am Arbeitsleben teilhaben können. Viele sind gerade am Leistungsdruck in der regulären Wirtschaft gescheitert. Soll ein Wechsel aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gelingen, ist Leistungsdruck ein wesentliches Thema.
Werkstätten alleine können Inklusion nicht machen
Herr Chudziak möchte, dass Werkstätten Reha-Anbieter werden. Sie sind es bereits. Sie können aber Behinderung nicht beseitigen. Wenn eine Brücke in den allgemeinen Arbeitsmarkt gelingen soll, brauchen die Werkstattbeschäftigten rehabilitative Maßnahmen, um mit ihren Einschränkungen umgehen zu lernen, das ist richtig. Dann brauchen sie aber auch auf Seiten des Arbeitsmarktes die Bereitschaft, mit den behinderungsbedingten Themen angemessen umzugehen. Dies erfordert einen dialogischen Prozess. Werkstätten alleine können Inklusion nicht machen.
Zuzustimmen ist Herrn Chudziak, wenn er darauf hinweist, dass die bisherigen Regelungen der Leistungsträgerschaft in diesem Bereich oft ein problematisches Hin- und Herschieben von Kosten zur Folge haben. Die an anderer Stelle vorgeschlagene „… Entzerrung von Qualifizierung, Beschäftigung und die Vermittlung…“ könnte aber genau zu einem weiteren Hin- und Hergeschiebe, zu einer geringeren Durchlässigkeit und zu Beziehungsabbrüchen führen. Rehabilitation ist eine Komplexleistung, die Finanzierung sollte dazu passen.
Bildungsangebote individuell vorhalten
Nicht zielführend ist es, die berufliche Bildung aus den Werkstätten herauszulösen. Neben den von Herrn Chudziak beschriebenen Problemen von Ausschreibungsverfahren (zu deren Effizienz ließe sich noch viel mehr sagen) ist auch hier zu anzumerken, dass ein Konzept einer zweijährigen beruflichen Bildung zu eng ist. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis, dass behinderte Menschen schneller lernen und deshalb mit einer verkürzten Berufsausbildung zurechtkommen. Vielmehr gehört es zu einem guten rehabilitativen Konzept, Bildungsangebote immer dann vorzuhalten, wenn es im individuellen Entwicklungsprozess passt. Werkstätten müssen Bildungseinrichtungen bleiben und dieses Angebot auch über den Berufsbildungsbereich hinaus vorhalten. Nur so können nachhaltige Entwicklungen befördert werden.
Fazit
Es braucht eine Entwicklungspartnerschaft zwischen Politik und Werkstätten um Konzepte, die es längst gibt, in die Fläche zu bringen und die berufliche Teilhabe von behinderten Menschen zu stärken. Der Weg zu einem Inklusiven Arbeitsmarkt ist anspruchsvoll.
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