Erfahrungsbericht

SPZ und gFAB gezielt als Personal- und Organisationsentwicklungsinstrument nutzen

Lesen Sie hier den Bericht von Ortrun Müther, die 2023 erste Erfahrungen mit der Durchführung der Inhouse-Schulung sammeln konnte.

Seit mehreren Jahren bin ich als Dozentin und Prüferin in Fortbildungen der Sonderpädagogischen Zusatzausbildung und der geprüften Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung tätig. Ein wichtiger Bestandteil dieser Fortbildungen ist die Projektarbeit, die die Teilnehmer/Innen als Prüfungsleistung schriftlich erstellen, in der mündlichen Prüfung präsentieren und verteidigen.

In der Orientierungshilfe der Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung heißt es: "Bei der Projektarbeit handelt es sich um eine komplexe, praxisbezogene und berufstypische Aufgabe, nicht um eine theoretische Abhandlung. Das Projekt soll zumindest konzeptionell neu im Sinne von innovativ sein und darf nicht schon einmal durchgeführt worden sein." Idealerweise werden die im Rahmen der Fortbildung entwickelten Projekte für die Weiterentwicklung der Einrichtung genutzt. Das setzt jedoch voraus, dass Projektthemen nachhaltig nutzbar sind und mit der Leitung vereinbart werden.

Regelmäßig wird die Projektarbeit von vielen Teilnehmern/Innen als große Hürde wahrgenommen. Einerseits ist das Schreiben eines längeren Textes bereits eine große Herausforderung, denn in der Regel wird diese Kompetenz nicht im Berufsalltag von ihnen gefordert und es fehlt die Übung. Andererseits fällt es vielen Fachkräften aber auch schwer im Rahmen der täglich zu bewältigenden Arbeitsaufgaben neue, innovative, komplexe, praxisbezogene Aufgaben zu identifizieren, die sich für eine Projektarbeit eignen.

In dem Wort innovativ steckt das lateinische Wort "nova", was "neu" bedeutet. Es gilt also neue Aufgaben zu finden, an die Mitarbeiter herangeführt werden und die sie im Sinne der geforderten Nachhaltigkeit auch zukünftig ausführen können. Davon gibt es in der Werkstatt zahlreiche, denn noch sind wir nicht an dem Punkt angelangt, wo wir behaupten könnten, dass die Werkstatt in sich schon inklusiv ist. Vor allem Führungsaufgaben sind zumeist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht in der direkten Zusammenarbeit mit Mitarbeitern erbracht werden und viel zu oft höre ich auch noch, dass das ja gar nicht geht.

Ich möchte hier mal zwei Projekte vorstellen, die 2023 im Rahmen einer Inhouse SPZ für Führungskräfte bei einem großen Träger aus Hessen (durchgeführt von der Akademie für Gesundheit, Kommunikation und Recht, Berlin) von zwei Teilnehmern entwickelt und durchgeführt wurden. Die Aufgabenbereiche beider Teilnehmer sind nicht dadurch gekennzeichnet, dass sie unmittelbar mit Mitarbeitern zusammenarbeiten und pädagogische Aufgaben übernehmen.

Herr G., zuständig für die Akquise von Arbeitsaufträgen, war zu Beginn der Fortbildung erst zwei Jahre im Unternehmen. Ich erinnere mich noch gut, dass er in der Anfangsphase der Fortbildung den Standpunkt vertreten hat, dass es in seinem Aufgabenbereich nicht möglich ist Mitarbeiter zu involvieren. Heute, nach Durchführung seines Projektes, hat sich seine Sichtweise grundlegend geändert. "Im Projekt bin ich den Menschen erst richtig begegnet und habe erlebt, wie leistungsstark sie sind. Wir müssen ihnen nur etwas zutrauen und sie personenzentriert an neue Aufgaben heranführen." Im Rahmen seines Projektes hat er drei Mitarbeiter für die Bearbeitung von Anfragen qualifiziert. Die Qualifizierung wurde von ihm sehr praxisorientiert gestaltet. In einer ersten Sitzung hat er den Mitarbeitern die Aufgabe und die damit zusammenhängenden Teilaufgaben erklärt, Fragen beantwortet und weitere Termine vereinbart. In den folgenden Qualifizierungseinheiten wurden eingehende Anfragen anhand von Mustern bearbeitet. Zunächst musste gemeinsam geschaut werden, wie der gesamte Auftrag in Teilarbeitsschritte gegliedert werden kann und welche Werkzeuge und Hilfsmittel benötigt werden. Anschließend wurden die Arbeitsschritte von jedem ausgeführt und Zeitaufnahmen genommen, die in die Kalkulation einflossen. Wie eine Kalkulation erstellt wird und welche Aspekte zu berücksichtigen sind, wurde den Beschäftigten Schritt für Schritt erklärt und abschließend wurde gemeinsam ein Angebot erstellt. Herr G. berichtete, dass die Mitarbeiter in den gemeinsamen Sitzungen viele konstruktive Fragen stellten, darunter auch Fragen, die er gar nicht direkt beantworten konnte und im Nachgang noch mal mit der anfragenden Firma klären musste. Überrascht war er auch, dass seine Zeiten nicht immer die besten waren.

Das Anfrageteam kommt eher unregelmäßig, nach Bedarf zusammen, will aber zukünftig nach Annahme eines Angebots auch die Erstellung von Arbeitsanleitungen für die Abteilungen übernehmen und kann sich darüber hinaus vorstellen für bestehende Aufträge nochmal zu schauen, ob Produktionsabläufe optimiert werden könnten. So würde die Gruppe mindestens einmal im Monat zusammenkommen und das Gelernte könnte weiter vertieft und stabilisiert werden.

Die Qualifizierung und die neue Aufgabe haben einiges bewirkt. Der Gruppenleiter von Herrn P. berichtet, dass seine Bereitschaft Aufgaben in Eigenverantwortung zu übernehmen gestiegen ist. Herr P. selbst sagt, dass das Projekt ihm noch mal gezeigt hat, dass er sich weiter entwickeln kann und dass es Spaß macht etwas Neues zu lernen. Als Nächstes möchte er eine Weiterbildung zum Lageristen machen und Aufgaben in der Lagerhaltung übernehmen. "Wichtig für mich ist, dass ich alles Schritt für Schritt machen kann." Frau R. hat für sich entschieden, dass ihr Abwechslung guttut. Sie arbeitet gerne in der Montage und Verpackung, findet es aber gut, dass sie im Anfrageteam ganz anders gefordert wird, denn "kein Auftrag ist da wie der andere und zusammen finden wir schnell heraus, wie es gehen kann."

Das zweite Projekt, das ich hier vorstellen möchte, wurde von Herrn B., Abteilungsleiter und für die Qualitätssicherung im Unternehmen zuständig, ins Leben gerufen. Herr B. ist QS-Mann durch und durch, seit über 10 Jahren. Für ihn ist alles Wirken im Unternehmen ganzheitlich und im Sinne eines fortlaufenden Verbesserungsprozesses zu betrachten. "Der Erfolg und die Akzeptanz des Unternehmens hängen ganz wesentlich von der Qualität der angebotenen Dienstleistungen und Produkte …" und von "…funktionierenden Strukturen" ab. Sichergestellt wird diese hohe Akzeptanz aus seiner Sicht vor allem durch gezielte Weiterbildung und Qualifizierung der Mitarbeiter.

An jedem Standort im Unternehmen gibt es mindestens einen Qualitätsbeauftragten. Bisher wurden diese Aufgaben nur von Angestellten übernommen. Das wollte Herr B. mit seinem Projekt ändern. Er entwickelte ein Qualifizierungskonzept für "Qualitätsbeauftragte" und führte die Qualifizierung mit drei Mitarbeitern (an einem Standort) durch. Nach Abschluss der Qualifizierung sollten die Teilnehmer/innen in ihrer Funktion als Qualitätsbeauftragte:

  • Ansprechpartner für Mitarbeiter und Gruppenleiter in den jeweiligen Teams sein
  • das Thema QM als festen Bestandteil der Morgenbesprechungen in den jeweiligen Teams kommunizieren (Reklamationen mitteilen, aktuelle Verbesserungen mitteilen und Verbesserungsvorschläge erfragen Beschwerden und Rückmeldungen einholen),
  • Störungen (wie z.B. Materialmangel, Maschinenausfälle) aufnehmen und an das QS-Team zur zeitnahen Bearbeitung weiterleiten
  • die Ergebnisse dokumentieren und die QM-Dokumentationslisten führen

Die Qualifizierung umfasste 10 Workshops, in denen die Mitarbeiter an ihre neuen Aufgaben herangeführt wurden und Gelegenheit hatten die zukünftigen Aufgaben zu üben. Abgeschlossen wurde die Qualifizierung mit einer Prüfung. Frau M. berichtet, dass sie vor der Prüfung die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Herr B. führt fort "nachdem die Teilnehmer/innen die Prüfungsfragen gesehen haben, hatte ich nicht das Gefühl in ihrem Gesichtsausdruck Angst zu erkennen, sie legte auch sofort los". Alle waren sich einig, dass es okay ist vor einer Prüfung nervös zu sein, dass sie aber gut vorbereitet waren und schließlich haben es ja auch alle geschafft.

Hervorzuheben ist auch noch, dass Frau P. von Beginn an alle organisatorischen Aufgaben übernahm. Sie führte die Anwesenheitsliste, den Lehrgangsordner, fasste die Arbeitsergebnisse aus den Workshops in Word und/oder Excel Dateien am PC zusammen. Für ihre Kollegen war sie immer Ansprechpartner und ist das auch heute noch.

Die Qualitätsbeauftragten sind nun seit einem halben Jahr in Aktion. Die neuen Aufgaben machen ihnen immer noch Spaß und nach Einschätzung von Herrn R. ist das Thema "Qualität inzwischen bei 50 % der Mitarbeiter wirklich im Kopf angekommen". "Vorher war vielen gar nicht klar, dass sie ja auch QS-Aufgaben haben, weil sie Kontrollaufgaben übernehmen und die Ergebnisse dokumentieren müssen. Viele Kollegen wollen jetzt auch Qualitätsbeauftragte werden. Die Aufgabe ist richtig populär geworden", berichtet Herr R. Als nächsten Schritt will das QS-Team die bisherigen Erfahrungen reflektieren, auswerten und Verbesserungsmöglichkeiten erarbeiten. Weitere Schulungen sollen im Co-Teaching durchgeführt werden.

Nach meinem Besuch und den gemeinsamen Gesprächen mit den Projektteilnehmern und -teilnehmerinnen stelle ich mit Freude fest, dass das Unternehmen nun neben Herrn B. drei weitere QBs durch und durch hat und das Anfrageteam von Herrn G. ein echter Gewinn für die Einrichtung ist. Diese Beispiele, ich möchte sie einfach mal BEST PROJEKT nennen, zeigen auch, dass die SPZ und/oder gFAB gezielt als Personal- und Organisationsentwicklungsinstrument genutzt werden kann. Wichtig ist, dass in der Planungsphase die strategischen Ziele der Einrichtung mit der Lehrgangsleitung kommuniziert, im Lehrgang passende Projektthemen entwickelt und die Projekte im Sinne eines Coachings von der Lehrgangsleitung begleitet werden.

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